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Scheintot

Scheintot

Titel: Scheintot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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verflog.
    »Was hat das Boston PD hier verloren?«, fragte der Mann.
    »Was haben
Sie
hier verloren?«, versetzte sie.
    Sie hatte keine Antwort erwartet, und sie bekam keine. Der Mann gab Gabriel seine Brieftasche zurück, dann schwenkte er den Strahl seiner Taschenlampe in Richtung einer dunklen Limousine, die hinter ihrem Mietwagen parkte. »Einsteigen. Sie müssen mit uns kommen.«
    »Wieso?«, fragte Gabriel.
    »Wir müssen Ihre Identität überprüfen.«
    »Aber dann verpassen wir unseren Rückflug nach Boston«, sagte Jane.
    »Stornieren Sie ihn.«

28
    Jane saß allein in dem Vernehmungsraum, starrte ihr eigenes Spiegelbild an und dachte sich: Ganz schön beschissen, wenn man auf der falschen Seite des venezianischen Spiegels hockt. Sie war jetzt schon eine Stunde hier. Immer wieder war sie aufgestanden, um nachzusehen, ob die verschlossene Tür sich nicht vielleicht in der Zwischenzeit auf wundersame Weise entriegelt hatte. Natürlich hatten sie sie von Gabriel getrennt; so machte man das nun einmal, und so ging sie selbst bei ihren Vernehmungen auch vor. Aber alles andere an dieser Situation war absolutes Neuland für sie. Die Männer hatten sich bis jetzt nicht identifiziert, hatten weder Marken vorgezeigt noch Namen, Dienstgrade oder Dienstnummern genannt. Man hätte ihr auch erzählen können, dass sie die berüchtigten
Men in Black
waren und den Auftrag hatten, die Erde vor Weltraumbanditen zu schützen. Sie hatten ihre Gefangenen durch eine Tiefgarage in das Gebäude geführt, so dass sie noch nicht einmal sagen konnte, für welche Behörde sie arbeiteten; sie wusste nur, dass dieser Vernehmungsraum sich irgendwo auf dem Stadtgebiet von Reston befinden musste.
    »He!« Jane trat vor den Spiegel und klopfte an das Glas.
    »Sie haben vergessen, mir meine Rechte vorzulesen, wissen Sie das? Und mein Handy haben Sie mir auch weggenommen, so dass ich keinen Anwalt anrufen kann. Junge, Junge, da werden Sie ganz schön Ärger kriegen.«
    Sie hörte keine Antwort.
    Ihre Brüste begannen aufs Neue zu schmerzen, und sie kam sich wieder vor wie eine Kuh, die dringend gemolken werden musste, aber sie dachte nicht daran, vor diesem Spiegel ihr T-Shirt hochzuziehen. Wieder klopfte sie an die Scheibe, fester diesmal. Sie hatte jetzt keine Angst mehr; sie wusste genau, dass sie es mit Regierungstypen zu tun hatte, die sich einfach nur absichtlich viel Zeit ließen, um sie einzuschüchtern. Sie kannte ihre Rechte – als Cop hatte sie schon zu viel Zeit damit verschwendet, auf die Einhaltung der Rechte von Tätern zu achten; da würde sie verdammt noch mal auch auf ihre eigenen pochen.
    Sie stand da und betrachtete ihr Spiegelbild in der Glasscheibe. Ihr Haar war ein wuscheliger brauner Kranz, ihr kantiger Unterkiefer trotzig vorgereckt. Seht nur ganz genau hin, Jungs, dachte sie. Wer immer ihr seid, dort hinter der Scheibe, was ihr hier seht, ist eine stinksaure Polizistin, die von Minute zu Minute weniger Lust verspürt, mit euch zusammenzuarbeiten.
    »He!«, rief sie und schlug mit der flachen Hand gegen den Spiegel.
    Plötzlich ging die Tür auf, und sie war überrascht, eine Frau eintreten zu sehen. Ihr Gesicht war noch recht jugendlich – sie konnte nicht älter als fünfzig sein –, doch ihr Haar hatte bereits einen glänzenden Silberton angenommen, der in auffallendem Kontrast zu ihren dunklen Augen stand. Wie ihre männlichen Kollegen trug auch sie einen konservativen dunklen Anzug; die bevorzugte Tracht von Frauen, die in einem Männerberuf bestehen müssen.
    »Detective Rizzoli«, sagte die Frau. »Tut mir Leid, dass Sie so lange warten mussten. Ich bin gekommen, so schnell ich konnte. Sie wissen ja, der Verkehr in Washington …«
    Sie streckte die Hand aus. »Freut mich, Sie endlich kennen zu lernen.«
    Jane schlug den Händedruck aus und fixierte die Frau unverwandt. »Sollte ich Sie kennen?«
    »Helen Glasser, Justizministerium. Und ich pflichte Ihnen übrigens bei; Sie haben allen Grund, sauer zu sein.«
    Wieder streckte sie die Hand aus, ein zweiter Versuch, das Kriegsbeil zu begraben.
    Diesmal ergriff Jane sie und registrierte einen männlich festen Händedruck. »Wo ist mein Mann?«, fragte sie.
    »Er wird oben zu uns stoßen. Ich wollte zuerst die Gelegenheit nutzen, mit Ihnen Frieden zu schließen, bevor wir dann zur Sache kommen. Was heute Abend passiert ist, war lediglich ein Missverständnis.«
    »Was passiert ist, ist eine Verletzung unserer Rechte.«
    Glasser deutete auf die Tür. »Bitte,

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