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Scheintot

Scheintot

Titel: Scheintot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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sind.«
    Jane starrte noch immer an die Decke und versuchte zu begreifen, was sie da sah. Nadeldünne Dampfstrahlen strömten von oben herab in den Raum. Gas. Sie pumpen Gas ins Zimmer.
    Sie sah ihren Mann an. Hatte er gewusst, dass das passieren würde? Hatte er gewusst, dass dies der Plan war? Niemand sonst schien den lautlosen Eindringling zu bemerken. Niemand sonst schien erkannt zu haben, dass die Erstürmung unmittelbar bevorstand, angekündigt durch diese hauchdünnen Gaswolken.
    Wir atmen es alle ein.
    Sie spannte die Muskeln an, als sie das Herannahen der nächsten Wehe spürte. O Gott, nicht jetzt, dachte sie. Nicht, wenn hier jeden Moment die Hölle los sein kann. Sie packte das Couchkissen, wartete auf den Höhepunkt der Wehe. Der Schmerz hatte sie jetzt fest im Griff, und sie konnte nur das Kissen umklammern und ausharren. Die hier wird schlimm, dachte sie. Oh, die ist wirklich verdammt schlimm.
    Doch der Schmerz erreichte nie den Höhepunkt. Plötzlich schien das Kissen in Janes Faust dahinzuschmelzen. Sie hatte das Gefühl, nach unten gezogen zu werden, hinab in einen seligen Schlummer. In der wachsenden Benommenheit, die sie umfing, hörte sie noch ein Poltern, Männerstimmen. Und sie hörte Gabriels Stimme – gedämpft, wie aus großer Ferne, rief er ihren Namen.
    Die Schmerzen waren jetzt fast verschwunden.
    Sie spürte einen leichten Stoß, und etwas Zartes streifte ihr Gesicht. Die Berührung einer Hand, die ihre Wange ganz zart streichelte. Eine Stimme flüsterte ihr etwas zu – Worte, die sie nicht verstand; leise, eindringliche Worte, die in dem Gepolter, dem plötzlichen Krachen der Tür fast untergingen. Ein Geheimnis, dachte sie. Sie vertraut mir ein Geheimnis an.
    Mila. Mila
weiß Bescheid.
    Ein ohrenbetäubender Knall, und etwas Warmes spritzte ihr ins Gesicht.
    Gabriel, dachte sie. Wo bist du?

21
    Als die ersten Schüsse fielen, konnte man die Schaulustigen auf der Straße erschrocken nach Luft schnappen hören. Maura blieb fast das Herz stehen. Beamte des Sondereinsatzkommandos sicherten weiter die Absperrung, während von drinnen erneut dumpfe Explosionen zu hören waren. Sie sah die Verwirrung in den Mienen der Polizisten, als die Minuten verstrichen und alles auf Nachrichten vom Geschehen in der Klinik wartete. Niemand rührte sich von der Stelle, niemand stürmte das Gebäude.
    Worauf warten sie
alle?
Plötzlich knackte es in den Funkgeräten der Cops. »Gebäude gesichert! Der Zugriffstrupp ist draußen, und das Gebäude ist jetzt sicher! Holt die Sanis. Wir brauchen Tragbahren …«
    Notarztteams stürmten herbei und durchbrachen das Absperrband wie Sprinter die Zielmarkierung. Das Zerreißen dieses gelben Bandes löste das totale Chaos aus. Plötzlich strömten auch Reporter und Kameraleute auf den Klinikeingang zu, während Beamte des Boston PD sie aufzuhalten suchten. Über den Köpfen der Menge wummerten die Rotorblätter eines Helikopters.
    Inmitten der Kakophonie hörte Maura Korsak rufen: »Ich bin Polizist, verdammt! Eine Freundin von mir ist da drin! Lasst mich durch!« Dann sah er Maura und rief: »Doc, Sie müssen rausfinden, ob sie okay ist!«
    Maura kämpfte sich bis zur Polizeiabsperrung vor. Der Cop warf einen gehetzten Blick auf ihren Dienstausweis und schüttelte den Kopf.
    »Die müssen sich jetzt erst mal um die Lebenden kümmern, Dr. Isles.«
    »Ich bin Ärztin. Ich kann helfen.«
    Ihre Worte gingen fast unter im Getöse des Hubschraubers, der gerade auf dem Parkplatz auf der anderen Straßenseite gelandet war. Zugleich wurde der Polizist einen Moment lang von einem Reporter abgelenkt und schrie den Mann an: »He, Sie! Sofort zurücktreten!«
    Maura nutzte die Gelegenheit, um an ihm vorbeizuschlüpfen und in das Gebäude zu laufen. Ihr graute schon vor dem, was sie dort vorfinden würde. Als sie gerade in den Flur einbog, der zur Bilddiagnostik führte, kam eine Rollbahre auf sie zugeschossen, geschoben von zwei Sanitätern, und sie schlug instinktiv die Hand vor den Mund, um einen Schrei zu unterdrücken. Sie sah den hochschwangeren Bauch, die dunklen Haare, und sie dachte: Nein. O Gott, nein.
    Jane Rizzoli war über und über mit Blut bespritzt.
    In diesem Moment schien Mauras ganze medizinische Ausbildung sie schlagartig im Stich zu lassen. In ihrer Panik sah sie nur das Blut und sonst nichts.
Und so viel davon.
Dann, als die Trage an ihr vorbeirollte, bemerkte sie, dass Janes Brust sich hob und senkte. Sah, wie sich ihre Hand bewegte.
    »Jane?«, rief

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