Schenk mir diese Nacht
nicht", riet sie der Patientin, bevor sie auf dem Absatz kehrtmachte und den Tränen nahe den Raum verließ. Was war nur an Jonathan Hunter, dass er sie derart aus der Fassung brachte?
Was, um alles in der Welt, ist los mit mir? fragte sie sich später, als sie Dr. Gilchrist auf der Visite begleitete. Dabei kannte sie die Antwort nur zu genau. Sie hatte in den vergangenen zwei Jahren ihr Leben eingerichtet, ein
zurückgezogenes Leben ohne Freundschaften, und Jonathan Hunter und seine Familie mit ihren witzigen Dialogen und der unverhohlenen Zuneigung hatten nicht nur die Mauern
durchbrochen, die Gaye um sich errichtet hatte, sondern ihr auch gezeigt, was ihrem Dasein fehlte. Diese flüchtigen Einblicke hatten ihr Verlangen nach etwas geweckt, das sie nicht haben konnte: Freunde, anregende Gespräche, ein gesellschaftliches Leben, das mitunter vielleicht sogar zu hektisch werden konnte.
Alles vorbei. Stattdessen gab es für sie Einsamkeit, Schweigen und Verstellung - und in Letzterem war sie ironischerweise noch nie gut gewesen.
Gaye trank ihren Morgenkaffee allein in der Kantine. Aus freien Stücken. Obwohl sie erst sechs Monate in der Klinik arbeitete, hatte sie schon bald herausgefunden, dass es unklug war, sich mit den anderen Hebammen anzufreunden.
Freundschaft bedeutete Nähe, und Nähe ermutigte zu Fragen
Fragen, die sie nicht beantworten wollte. Also hielt sie sich von ihren Kolleginnen fern...
"Darf ich Ihnen Gesellschaft leisten?"
Beim Klang dieser vertrauten Stimme hob sie erschrocken den Kopf. "Jonathan!" Voller Unbehagen bemerkte sie, dass das zumeist weibliche Personal an den anderen Tischen sie neugierig beobachtete. Jonathans Anwesenheit machte Gayes Wunsch, unauffällig und ungestört ihrer Arbeit nachzugehen, zunichte. "Ich fürchte, Sie haben sich verirrt, Mr. Hunter." Sie sprach absichtlich lauter als sonst. "Die Cafeteria für unsere Besucher befindet sich..."
"Ich wollte nicht in die Cafeteria für Besucher", unterbrach er sie seelenruhig, ohne dem interessiert lauschenden Publikum die geringste Beachtung zu schenken. "Ich möchte mit Ihnen Kaffee trinken", verkündete er unbekümmert und nahm ihr gegenüber Platz.
Gaye schloss aufstöhnend die Augen. Als sie sie wieder öffnete, sah sie, dass Jonathan sie fragend anschaute. "Nicht hier", sagte sie leise und hoffte, er möge aufstehen und verschwinden.
Was er natürlich nicht tat. Dieser Mann hatte die
Angewohnheit, zur falschen Zeit am falschen Ort aufzutauchen und Gaye damit regelmäßig in Verlegenheit zu bringen.
"Warum nicht?" Verwundert blickte er sich in dem hellen Speisesaal um, dessen hohe Fenster einen hübschen Blick auf den Park hinter der Klinik boten. "Es ist hier doch ganz gemütlich." Er inspizierte den Inhalt von Gayes Tasse. "Der Kaffee scheint genießbar zu sein."
"Das ist er", bestätigte sie ungeduldig. "Trotzdem sollten Sie nicht hier sein. Sie lenken die Aufmerksamkeit der anderen auf uns", fügte sie vorwurfsvoll hinzu.
Jonathan sah sie nachdenklich an. "Und das gefällt Ihnen nicht, oder?" Offenbar war er blind für die bewundernden Blicke der Schwestern und Pflegerinnen. "Sie sind doch nur neugierig, Gaye." Gleichmütig zuckte er die Schultern. "Es ist unwichtig."
"Für mich nicht", beharrte sie. "Ich will nicht im Mittelpunkt von Klatsch und Spekulationen stehen." Der bloße Gedanke daran ließ sie erschauern.
In den vergangenen zwei Jahren hatte es genug Gerüchte über sie gegeben, und sie wollte nicht, dass alles wieder von vorn anfing. Sie hatte sich für ein Leben in der Anonymität entschieden und nicht die Absicht, alles aufs Spiel zu setzen, nur weil dieser Mann sie belästigte!
Jonathan lächelte sie an. "Es gibt nicht die geringste Möglichkeit, die Leute daran zu hindern, über Sie zu klatschen, Gaye! Das habe ich schon vor Jahren begreifen müssen und gelernt, mich dadurch nicht stören zu lassen."
"Nun, mich stört es jedenfalls!" Sie schob ihre halb geleerte Tasse beiseite und stand auf. "Ich muss wieder an die Arbeit."
Erst als sie den Flur erreichte, merkte sie, dass Jonathan noch immer an ihrer Seite war. Obwohl sie selbst ziemlich groß war, überragte er sie um Haupteslänge, und seine breiten Schultern unter dem maßgeschneiderten Jackett verhießen Schutz
Schutz, nach dem sie sich so verzweifelt sehnte ... Nein! Sie brauchte niemand und am allerwenigsten einen Mann wie Jonathan Hunter, dem nach seinen eigenen Worten die
Klatschreporter auf Schritt und Tritt folgten.
"Sollten
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