Schenk mir mehr als diese Nacht
und vertrauten Gerüche des Viertels auf und war begeistert von dem bunten, lauten Treiben um sich herum.
Im Schaufenster eines DVD-Ladens hing sogar ein Poster von ihr, das sie in einem ihrer berühmtesten Filme zeigte. Während vertraute heimatliche Klänge an ihre Ohren drangen, gratulierte sie sich zu ihrer Idee, ihren Anflug von Heimweh auf diese Art und Weise zu bekämpfen.
Plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrem Arm und wandte den Kopf zur Seite.
„Sie ist es!“, rief eine dunkelhäutige Frau, die sich inzwischen regelrecht an ihren Ärmel klammerte, begeistert aus. „Aneesa Adani!“
Sekundenlang war Aneesa verblüfft. Nie wäre sie auf die Idee gekommen, in London auf der Straße erkannt zu werden. Sie schenkte der Frau ein Lächeln und versuchte zaghaft, sich aus dem Klammergriff zu befreien.
Doch die Inderin kreischte geradezu ekstatisch und rief einige Freunde herbei. In kürzester Zeit sah Aneesa sich von Landsleuten umringt, die alle gleichzeitig auf sie einredeten. Jeder wollte sie berühren und sich mit ihr zusammen fotografieren lassen. Immer mehr Passanten gesellten sich zu ihnen. Sie konnten es kaum fassen, einen leibhaftigen Bollywoodstar in ihrer Mitte zu haben.
Während sie ein Autogramm nach dem anderen schrieb, wurde Aneesa von allen Seiten derart bedrängt, dass sich zum ersten Mal so etwas wie Furcht in ihr regte. Freundlich lächelnd gab sie einer Frau den Stift zurück und versuchte, sich rückwärts aus dem engen Zirkel herauszuarbeiten. Vergeblich!
Nie zuvor hatte Aneesa sich in einer derartigen Situation befunden. In Indien hatten sie stets Bodyguards begleitet, die aufdringliche Fans problemlos in Schach hielten. Hier fühlte sie sich ihnen zunehmend ausgeliefert.
Die aufgeladene Stimmung eskalierte in dem Moment, als eine ältere Frau vor ihr ausspuckte und ihr eine Beleidigung an den Kopf warf. Offensichtlich war die Nachricht von ihrer Schwangerschaft inzwischen bis nach England gedrungen. Eine weitere Frau sprang vor und riss an ihren Haaren. Jetzt fühlte Aneesa echte Panik und hielt instinktiv eine Hand über ihren Bauch. Und immer mehr Frauen drängten sich mit hassverzerrten Gesichtern nach vorn.
Verzweifelt hielt sie nach einem Fluchtweg Ausschau und weinte vor Erleichterung, als sie die vertraute dunkle Limousine mit getönten Scheiben am Straßenrand halten und Sebastian hastig aussteigen sah. Wie ein Panzer durchbrach er rücksichtslos die Menschenmauer um sie herum und riss sie förmlich an sich. Leise schluchzend schlang Aneesa die Arme um seinen Hals und drückte ihr Gesicht gegen seine warme, breite Brust.
Noch als sie längst im Schutz der Limousine auf dem Rücksitz saßen, klammerte sie sich wie eine Ertrinkende an ihren grimmigen Retter.
„Wo… woher wusstest du?“, stammelte sie tränenerstickt.
„Daniel hat es mir gesagt“, kam es knapp zurück. „Gott sei Dank hast du ihm erzählt, wo du hinwolltest. Ich habe den Menschenauflauf gesehen, bevor wir in die Brick Lane eingebogen sind.“
„Ich habe es gar nicht bis dorthin geschafft. Ich … ich hatte keine Ahnung, dass …“ Sie brach ab und sah ihn an. „Zuerst waren alle ganz nett zu mir, dann hat eine alte Frau vor mir ausgespuckt und die hässlichsten Sachen über mich und … und das Baby gesagt.“
Sebastian beugte sich vor, küsste die Tränen von ihren Wangen und legte schützend eine Hand über Aneesas gewölbten Bauch. Vor Überraschung versiegten ihre Tränen und sie hielt den Atem an.
„Es ist ein sehr traditionelles Viertel mit seinen eigenen Gesetzen. Denk daran, warum du aus Mumbai geflohen bist. Und Expatrioten im Ausland halten noch viel mehr an alten Konventionen fest.“
„Ich weiß, es war nur ein Schock für mich, es so … hautnah zu erleben.“ Ihr fiel erst jetzt auf, dass er unter der natürlichen Bräune regelrecht grau aussah.
„Verzeih, dass ich dich nicht zu deinem Arzttermin begleitet habe“, stieß er hervor. „Ich hätte dich auf keinen Fall allein durch London streifen lassen dürfen! Es wird nie wieder vorkommen, das schwöre ich.“
Erneut liefen die Tränen. „Das … das hat mir nichts ausgemacht, wirklich. Du musst dich nicht gezwungen fühlen …“
„Immerhin ist es auch mein Baby, oder nicht? Und beim nächsten Ultraschall bin ich an deiner Seite. Zukünftig wirst du keinen einzigen Schritt ohne mich oder meine Bodyguards machen, verstanden?“
Anstatt wütend oder eingeschüchtert von dem autoritären Ton zu sein, entspannte sich
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