Schenk mir nur diese eine Nacht (German Edition)
Zwangspausen einlegen mussten. Er wolle die günstigen Winde nutzen, erklärte er Anny. Für schwimmen oder das abendliche Sterne schauen hatte er keine Zeit.
Wenn er nicht gerade segelte oder aß, verschanzte er sich in seiner Kabine, um – wie er sagte – an seinem nächsten Drehbuch zu arbeiten.
Er hoffte, Anny würde die nonverbale Botschaft verstehen.
Aber sie verhielt sich genauso wie vorher. Als hätte er ihr nicht Einblick in seinen tiefen Seelenschmerz gewährt. Weder begegnete sie ihm mit übertriebenem Mitleid, noch zog sie sich von ihm zurück. Ihr Interesse am Segeln, Fischen oder an den Rezepten seiner Mutter war nach wie vor unvermindert und – das spürte er – ehrlich.
Die übliche Anny. Die viel zu oft sein T-Shirt und seine Shorts trug.
Er hätte sie zurückfordern können, schließlich hatte sie ja mittlerweile die passenden Sachen gekauft.
Fast schien es ihm, als wolle sie eine unterschwellige Bindung herstellen. Als wollte sie ihm mitteilen, dass nicht nur seine Kleidung, sondern auch er selbst ein Teil von ihr war.
Er hatte immer gedacht, dass Theos Jacht groß und geräumig wäre, ausreichend für eine ganze Familie.
Doch plötzlich kam sie ihm winzig vor, geradezu beengend. Wo immer er auch hinging, war Anny. Selbst wenn er alleine an Deck stand, spürte er ihre Anwesenheit.
Nach vier Tagen meinte er fast wahnsinnig zu werden. Nichts, was er tat oder dachte, konnte es verhindern. Sie war ihm unter die Haut gegangen.
Als sie am nächsten Nachmittag den Hafen der kleinen griechischen Insel Thirasia erreichten, war es Demetrios, als hätten die Götter endlich seine Gebete erhört.
Verwundert beobachtete Anny die geschäftige Menschenmenge, die sich um den kleinen Hafen drängte. Grund für das Treiben war die Feier anlässlich des Schutzpatrons der Insel, die am Abend stattfinden würde, wie Demetrios ihr erklärte.
Überraschenderweise war er sehr angetan von dem Gedanken, zu dem Fest an Land zu gehen. „Du musst nicht mitkommen, wenn du keine Lust hast“, sagte er.
Aber Anny war es leid, mit einem Mann auf dem Schiff zu sein, der sie kategorisch mied. Sie wollte Lärm, helle Lichter und fröhliche Menschen um sich. Genauso wie er.
„Ich kann es kaum erwarten“, erwiderte sie und merkte an seinem Gesichtsausdruck, dass sie ihm damit einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte.
Als sie wenige Stunden später mit dem Schlauchboot zum Kai gelangten, hatte sich die verschlafene Insel mit ihren normalerweise zweihundert Einwohnern vollends in ein turbulentes und freudiges Chaos verwandelt.
„Fühl dich nicht gezwungen, den ganzen Abend mit mir zu verbringen“, sagte Anny, als sie aus dem Boot stiegen.
„Komm schon, sei nicht albern“, erwiderte Demetrios nur.
Rund um den Hafen herrschte ein reges Gedränge, die Stimmung war – wie es sich für ein Fest gehörte – fröhlich beschwingt. Überall hingen bunte Lichterketten, die Musik war ohrenbetäubend laut. Je weiter sie den steilen Treppenweg hinauf zum Dorf stiegen, desto ausgelassener wurde die Atmosphäre. Nach all den Tagen, in denen nur der Wind und das Meeresrauschen sie begleitet hatten, war dieser Menschenauflauf umso überwälti-
gender.
„Das ist ja der helle Wahnsinn“, schrie Anny.
„Willst du zurück zum Schiff?“, rief Demetrios in ihr Ohr.
Im gleichen Moment wurde der Nachthimmel von einem spektakulären Feuerwerk erhellt. Anny schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, es ist fantastisch. So etwas gibt es nicht einmal annähernd in Mont Chamion“, erwiderte sie mit strahlenden Augen.
„Habt ihr ein Glück! Los, lass uns einen Platz zum Essen finden.“
Im engen Gewirr der Gassen fanden sie schließlich eine Taverne mit einem freien Tisch, und ausnahmsweise schien Demetrios es nicht eilig zu haben.
In den vergangenen Tagen hatte er das Essen regelrecht heruntergeschlungen, als könne er nicht schnell genug wieder an seine Arbeit gehen. Jetzt aber ließ er sich die griechischen Spezialitäten schmecken und bestellte sich sogar noch ein zweites Bier. Sie redeten über nichts Persönliches, hauptsächlich über sein Drehbuch und seine anstehenden Projekte, über Leute, die er nach ihrer Reise treffen würde – beinahe kam es Anny so vor, als könne er nicht erwarten, dass der Segeltörn endlich vorbei war.
Anny derweil versuchte ihre letzten gemeinsamen Stunden so weit es ging zu genießen. Schon morgen würden sie in Santorin ankommen. Die Reise näherte sich unweigerlich ihrem Ende.
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