Schenkel, Andrea M
zurückfallen und starre zur Decke.
Nichts hat sich geändert. Ich liege immer noch nackt auf dem Bett, zugedeckt nur mit einer dünnen Zudecke, eingesperrt in einem kleinen Zimmer, in einem heruntergekommenen, verlassenen Holzhaus mitten im Wald. Ich habe keine Ahnung, was ich hier soll. Was will der Kerl von mir? Ich muss etwas tun, irgendetwas tun, sonst werde ich verrückt. Ich muss hier raus! Komm, mach, steh auf! Steh auf! Zieh dich an, versuch hier rauszukommen, es muss möglich sein! Reiß dich zusammen, nichts wie weg! Ich stehe vom Bett auf, gehe zum Schrank. Meine Klamotten sind im Schrank, wie er gesagt hat. Ich schlüpfe schnell hinein, als könnte mich jemand beobachten. Über der Kommode, an einem Nagel, hängt ein alter Rasierspiegel, rund, mit rotem Plastikrand. Ich sehe furchtbar aus. Das Gesicht geschwollen, das linke Auge rot, blutunterlaufen, das Unterlid fängt schon an, sich schwarzlila zu verfärben. Der fast blinde Spiegel lässt meine übrige Gesichtsfarbe, im Kontrast dazu, noch fahler aussehen. Während ich meine Blessuren abtaste und mein Gesicht anstarre, verdunkelt sich der rechte Rand des Spiegels. Ein Kopf schiebt sich über meine Schulter vor. Sein Kopf. Die Stirn wölbt sich unter den Augenbrauen wulstig hervor, die Augen liegen tief. Die Nase ist stark gebogen, zur Spitze hin wird sie flach, ein tiefer Sattel, so dass die Spitze sich wie ein kleines Dreieck vorwölbt. So wie die Nase aussieht, hat er sie sich bestimmt einmal gebrochen. Wundert mich nicht bei dem Schläger. Schmale Lippen liegen über dem hervortretenden Kinn, in der Mitte ein Grübchen.
»Hunger?«
Ich sehe in seine Augen, schmutzigbraune Augen. Halte den Blick aus. Er lächelt breit, bleckt dabei die Zähne. Braungelbe Zähne mit Lücken.
»Mhmm.«
Ich bringe nicht mehr heraus, nur »Mhmm«. Und nicke dazu. Er geht zum Tisch hinüber, schüttelt den Inhalt der Papiertüte darauf aus. Verschiedene Brötchen, ein halber Laib Schwarzbrot, Laugengebäck. Aus einer anderen Tüte holt er Butter und ein in Papier eingewickeltes Wurstpaket. Mit den Fingern nimmt er den Aufschnitt und legt ihn auf den Teller. Dazu mehrere Flaschen Bier. Stellt sie sorgfältig nebeneinander. Klar, Wurst mit ungewaschenen schmutzigen Fingern anfassen und Bier trinken, das passt zu ihm.
Er grunzt, zündet einen Gaskocher an. Den Kocher hat er zuvor aus dem Rucksack geholt. Der richtet sich richtig häuslich ein. Jetzt holt er auch noch eine Pfanne. Brät Spiegeleier.
»Magst du?«
»Mhmm.« Eigentlich mag ich von dir nichts, aber mir ist schon ganz schlecht vor Hunger, mein Magen knurrt. Zögernd setze ich mich an den Tisch.
»Warum bin ich hier?«
Er stellt die Pfanne mit Spiegeleiern vor mich hin.
»Iss!«
»Was willst du von mir? Warum bin ich hier, verdammt noch mal! Mach den Mund auf!« Meine Stimme überschlägt sich, klingt seltsam gequetscht. Tränen schießen mir in die Augen. Ich will die Scheiß-Spiegeleier nicht, hole aus, will die Pfanne mit dem Arm vom Tisch fegen. Er hält meinen Arm fest, drückt ihn gegen die Tischplatte.
»Iss!«
Er lockert langsam seinen Griff und lässt den Arm los. In mir halten sich Gefühle von Ohnmacht, Wut und Angst die Waage. Ich fange an zu essen. Zuerst langsam, zögernd, dann schneller. Hastig schlage ich mir den Bauch voll, esse gierig die ganze Pfanne leer. Den Rest tunke ich mit Brot auf. Die Tränen, die über meine Wange laufen, wische ich mit dem Handrücken weg.
Er sitzt neben mir, sieht mich an, sagt kein Wort. Nachdem er ein Bier nach dem anderen geleert hat, steht er auf, räumt Geschirr und Kocher zusammen, stellt es in eine Holzkiste.
»Ich gehe abwaschen, Wasser gibt’s nur draußen!«
Er öffnet die Falltür, steigt die steile Treppe hinunter. Die Tür fällt hinter ihm ins Schloss. Knarren, dann Stille. Hoffentlich fällt er die Treppe runter und bricht sich das Genick.
Eine Fliege macht sich am Tisch an den Resten der Brotkrumen zu schaffen. Sie krabbelt hin und her, putzt sich sorgfältig Fühler und Gesicht. Fliegt zum Fenster, dann wieder zum Tisch, auf meine Hand. Normalerweise würde ich sie erschlagen, jetzt ist sie eine willkommene Ablenkung.
Es muss schon mindestens eine Stunde vergangen sein, seitdem er weg ist.
Ich muss hier raus! Ich gehe hinüber zur Falltür. Die klemmt oder ist verschlossen, ich ziehe, bis die Finger schmerzen. Der Arsch hat mich eingesperrt! Hält mich gefangen. Wie ein Tier, gibt mir zu fressen, damit ich nicht eingehe. Dieses
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