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Schenkel, Andrea M

Schenkel, Andrea M

Titel: Schenkel, Andrea M Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bunker
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im Zimmer. Ich liege eine Zeit lang wach da, die Augen zur Decke gerichtet. Ich kann nicht verstehen, was er von mir will. Zuerst dachte ich, er will nur an das Geld, aber kein Wort mehr über Geld und Schlüssel, seit wir hier sind. Seltsam. Meine Gedanken drehen sich im Kreis. Irgendwann schlafe ich wieder ein.
    Es dämmert, mit einem Schlag werde ich wach. Ich muss aufs Klo. Ich bin den ganzen Tag nicht auf dem Klo gewesen. Ich halte es kaum mehr aus. Ich klopfe, lege mich auf den Boden, rufe durch die Türritze: »Hallo, ich muss aufs Klo, ich brauche eine Toilette, dringend!« Nichts, er rührt sich nicht. »Ich mach ins Zimmer, wenn du nicht aufmachst!«
    Nichts, kein Geräusch, alles ist still. Der Druck in meinem Bauch wird größer und größer. Wenn ich nicht gleich auf ein Klo komme, mache ich mir in die Hose wie ein kleines Kind. »He, du da unten, mach auf! Hörst du nicht, ich muss aufs Klo!«
    Der Scheißkerl hört mich nicht. Ich hüpfe von einem Bein auf das andere, es hilft nichts. Ich verschränke die Beine, krümme mich. »Hörst du nicht? Ich brauche eine Toilette oder einen Eimer!« Wie verrückt suche ich alles nach einem Gefäß ab. Nichts! Die Plastiktüte! Die Plastiktüte auf der Kommode, das ist meine Rettung. Ich laufe rüber zur Kommode, greife nach der Tüte und verziehe mich in die hinterste Ecke des Raums. Soll ich mich lieber wieder komplett ausziehen? Wäsche zum Wechseln gibt’s nicht. Keine Zeit mehr. Ich ziehe den Rock hoch, streife die Unterhose weit nach unten und gehe in die Hocke, halte die Tüte drunter. Nein, so kann das nicht gehen. Wenn mich jetzt jemand sehen würde, der würde sich totlachen. Mir ist eher zum Heulen. Ich platze gleich, dann ist die Sauerei im Zimmer, kein Wischlumpen, kein Wassereimer. Ich knülle den oberen Rand der Tüte zusammen, bis sie von allein steht. So geht’s. Tief in die Hocke und los. Plötzlich Erleichterung, das tut gut. Wie einfach man glücklich werden kann. Die Tüte verknoten, unter die Kommode schieben, geschafft.
    Völlig erledigt lege ich mich aufs Bett.
    Wie kommt das Bild von Joachim und mir hierher? Was will der Kerl? Warum bringt er mich hierher? Ich verstehe das Ganze nicht. Ich zermartere mir den Kopf. Es ergibt keinen Sinn, überhaupt keinen. Denk nach. Gut. Dieser seltsame Typ, nur er kann es gestohlen und hierher gebracht haben. Er muss in meine Wohnung eingebrochen sein. Aber warum? Bis auf dieses Bild hat er nichts mitgehen lassen. Zumindest ist mir nichts aufgefallen. Ich kann mich nicht erinnern, dass Geld oder was Wertvolles gefehlt hätte.
    Aber warum dieses Bild? Warum macht jemand sich die Mühe, bricht ein und klaut nur einen einzigen Gegenstand, ein Bild von mir und meinem kleinen Bruder? Jeder vernünftige Mensch stiehlt etwas von Wert. Meine Stereoanlage, Farbfernseher, Geld, Schmuck, was weiß ich. Wenn er was von mir will, hätte er doch etwas anderes mitnehmen können. Unterwäsche. Ich hab mal gelesen, Japaner lieben so was, die stehen auf gebrauchte Unterwäsche. Gut, wenn er nur einzelne Stücke mitgenommen hätte, hätte ich es natürlich nicht bemerkt. Weder bei der gewaschenen noch bei der schmutzigen Wäsche. Ich zähle schließlich nicht meine Unterhosen!
    Aber warum ein Bild mit Joachim darauf? Auf dem Foto hatte ich meine neuen Jeans an, meine ersten engen. Ich bin extra mit der Jeans in die heiße Badewanne gestiegen, damit sie einläuft und ganz eng sitzt. Danach musste ich mich immer auf den Boden legen, um den Reißverschluss zumachen zu können. Mann, war ich stolz! Die Haare zum Pferdeschwanz gebunden, Sonnenbrille und Schmollmund. Wie die Bardot. Die ganzen Filme liefen damals im Fernsehen. Schwarzweiß, Farbe gab’s noch nicht, oder zumindest bei uns zu Hause nicht. Meinen Freundinnen stand der Mund offen. Und den Jungs natürlich auch. Die ganz Coolen hatten Fahrräder mit Bonanzalenker, Bananensattel und wehendem Fuchsschwanz daran. War ganz groß in Mode. Unser Kontakt zu den Jungs bestand im Haareziehen, Nassspritzen und Hänseln, aber wir wussten trotzdem immer, was die anderen taten. Die anderen waren die Jungs aus dem Dorf. Alle, ob Jungen oder Mädchen, waren immer mit Rädern unterwegs, von morgens bis abends. Auch das Foto mit Joachim wurde auf einer Radtour aufgenommen. Eine meiner Freundinnen hatte einen Fotoapparat von Porst. Ich kann mich noch genau erinnern. Zehn Mark hatte der Fotoapparat damals gekostet, ein ganz billiges Ding, aber für uns eine Menge Geld. Und ich hatte

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