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Scherben der Ehre

Scherben der Ehre

Titel: Scherben der Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois McMaster Bujold
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wie viel ich darüber weiß, wobei man diesem wahnsinnigen Vorrutyer als Informationsquelle nicht trauen sollte, selbst wenn er dabei war. Ich nehme an, es ist teilweise wahr, zumindest, was ihre Beziehung angeht. Vorrutyer war ganz klar von ihm besessen. Und Aral wurde schrecklich vage, als ich ihn danach fragte.«
    Als sie das erschrockene Gesicht ihrer Mutter sah, dachte Cordelia: Es ist gut, dass ich nie Strafverteidigerin werden wollte. Alle meine Mandanten würden für immer in der Therapie landen. »Es gibt alles viel mehr Sinn, wenn du ihn persönlich triffst«, gab sie hoffnungsvoll zu bedenken.
    Ihre Mutter lachte unsicher. »Er hat dich sicher verhext. Was hat er denn an sich? Kann er gut reden? Sieht er gut aus?«
    »Ich bin mir nicht sicher. Er spricht meistens über barrayaranische Politik. Er behauptet, er hätte eine Abneigung dagegen, aber es klingt für mich mehr, als sei er davon besessen. Er kann keine fünf Minuten davon lassen. Es ist, als steckte sie in ihm drin.«
    »Ist das – ein sehr interessantes Thema?«
    »Es ist schrecklich«, sagte Cordelia offen. »Seine Gutenachtgeschichten können einen wochenlang vom Schlaf abhalten.«
    »Es kann nicht sein Aussehen sein«, seufzte ihre Mutter. »Ich habe ein Holovid von ihm in den Nachrichten gesehen.«
    »Oh, hast du es aufgezeichnet?«, fragte Cordelia sofort interessiert. »Wo ist es?«
    »Ich bin sicher, da ist was in den Vid-Dateien«, gab ihre Mutter zu und blickte sie an. »Aber wirklich, Cordelia – dein Reg Rosemont sah zehnmal besser aus.«
    »Vermutlich schon«, stimmte Cordelia zu, »nach jedem objektiven Standard.«
    »Also, was hat der Mann eigentlich an sich?«
    »Ich weiß es nicht. Die Tugenden seiner Laster, vielleicht. Mut. Stärke. Energie. Er könnte mich jeden Tag in Grund und Boden laufen. Er hat Macht über Menschen. Damit meine ich nicht unbedingt Qualitäten zur Menschenführung, obwohl die auch vorhanden sind. Entweder verehren die Menschen ihn, oder sie hassen ihn wie die Pest. Der seltsamste Mann, den ich je getroffen habe, tat beides gleichzeitig. Aber niemand schläft ein, wenn er zugegen ist.«
    »Und zu welcher Kategorie gehörst du, Cordelia?«, fragte ihre Mutter nachdenklich.
    »Nun, ich hasse ihn nicht. Kann aber auch nicht sagen, dass ich ihn verehre.« Sie machte eine lange Pause und blickte ihrer Mutter direkt in die Augen. »Aber wenn er sich schneidet, dann blute ich.«
    »Oh«, sagte ihre Mutter mit bleichem Gesicht. Ihr Mund lächelte, ihre Augen zuckten, und sie machte sich mit unnötigem Energieaufwand daran, Cordelias wenige Habseligkeiten unterzubringen.
    Am vierten Nachmittag ihres Urlaubs kam ihr vorgesetzter Offizier mit einem beunruhigenden Besuch. »Captain Naismith, das ist Dr. Mehta vom Medizinischen Dienst der Expeditionsstreitkräfte«, stellte Kommodore Tailor vor. Dr. Mehta war eine schlanke, braunhäutige Frau etwa in Cordelias Alter, mit zurückgekämmtem dunklem Haar, kühl und antiseptisch in ihrer blauen Uniform.
    »Nicht noch ein Psychiater«, seufzte Cordelia. Ihre Nackenmuskeln verkrampften sich. Noch mehr Befragungen – noch mehr Verdrehen, noch mehr Ausweichen, immer schwächere Lügengewebe, um die Lücken in ihrer Geschichte zu verdecken, wo sich Vorkosigans bittere Wahrheiten verbargen …
    »Endlich sind Kommodore Spragues Berichte mit Ihrem Dossier eingetroffen, ein bisschen spät, wie es scheint.« Tailor presste mitfühlend die Lippen zusammen. »Grässlich. Es tut mir leid. Wenn wir es eher gehabt hätten, dann hätten wir Ihnen die Geschichte letzte Woche ersparen können. Und allen anderen auch.«
    Cordelia errötete. »Ich wollte ihn nicht treten. Er ist in mich hineingerannt. Es wird nicht wieder vorkommen.«
    Kommodore Tailor unterdrückte ein Grinsen. »Na ja, ich habe nicht für ihn gestimmt. Steady Freddy gilt nicht meine hauptsächliche Sorge. Jedoch hat er …«, Tailor räusperte sich, »ein persönliches Interesse für Ihren Fall entwickelt. Sie sind jetzt eine Persönlichkeit von öffentlicher Bedeutung, ob es Ihnen gefällt oder nicht.«
    »Ach, Unsinn.«
    »Es ist kein Unsinn. Sie haben eine Verpflichtung.« Wen zitierst du, Bill? dachte Cordelia. Das ist nicht deine Stimme. Sie rieb sich den Nacken.
    »Ich dachte, ich hätte alle meine Verpflichtungen erfüllt. Was will man von mir noch mehr?«
    Tailor hob die Schultern. »Man dachte – so wurde mir zu verstehen gegeben –, dass Sie eine Zukunft haben könnten als eine Sprecherin der – der

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