Scherben der Ehre
den Hals, eine glitzernde Medaille an einem bunten Band. Gould postierte Cordelia vor dem Rednerpult und deutete auf die grünleuchtenden Worte auf dem Prompter, die da vor ihren Augen vorbeiflimmerten. »Fangen Sie an zu lesen«, flüsterte er.
»Bin ich schon dran? Oh, äh … Volk von Kolonie Beta, meiner geliebten Heimat«, das war in Ordnung soweit, »als ich euch verließ, um der D-Drohung barrayaranischer Tyrannei gegenüberzutreten, zum B-Beistand für unseren Freund und Verbündeten Escobar, da hatte ich keine Vorstellung davon, dass das Schicksal mich einer edleren B-Bestimmung zuführen würde.«
An dieser Stelle verließ sie den vorgegebenen Text und merkte, wie sie hilflos unterging, wie ein dem Untergang geweihtes Schiff, das in den Wogen versank. »Ich weiß nicht, was s-so edel am Abschlachten dieses s-sadistischen Esels Vorrutyer ist. Und ich würde keine M-Medaille für die Ermordung eines unbewaffneten M-Mannes annehmen, selbst wenn ich es getan hätte.«
Sie zog das Band mit der Medaille über ihren Kopf. Es verfing sich in ihrem Haar, sie riss es wütend los, und das tat weh. »Zum letzten Mal. Ich habe Vorrutyer nicht umgebracht. Einer seiner eigenen Männer hat Vorrutyer getötet. Er hat ihn von hinten g-gepackt und ihm den Hals von Ohr zu Ohr durchgeschnitten. Ich war dabei, verdammt noch mal.
Vorrutyer hat mich mit seinem Blut vollgespritzt. Die Presse beider Seiten füttert euch mit Lügen über diesen dummen K-Krieg. V-Verdammte Voyeure! Vorkosigan war nicht für das Gefangenenlager verantwortlich, als dort die Gräueltaten stattfanden. S-Sobald er die Leitung übernahm, stellte er sie ab. Er erschoss einen s-seiner eigenen Offiziere, um eure R-Rachelust zu befriedigen, und es verletzte auch seine Ehre, das kann ich euch sagen.«
Plötzlich wurde der Ton am Rednerpult abgeschaltet. Cordelia wandte sich Steady Freddy zu. Tränen der Wut trübten ihren Blick auf sein erstauntes Gesicht, und sie schleuderte mit all ihrer Kraft die Medaille auf ihn zurück.
Das glitzernde Metall verfehlte seinen Kopf und fiel über den Balkon hinab in die Menge.
Irgend jemand packte von hinten ihre Arme. Dieser Griff löste in ihr einen tief verborgenen Reflex aus, und sie trat wild um sich.
Wenn der Präsident nur nicht versucht hätte auszuweichen, dann wäre er davongekommen. Aber so traf die Spitze ihres Stulpenstiefels ihn mit unbeabsichtigter, aber perfekter Genauigkeit in der Leistengegend. Sein Mund bildete ein lautloses ›O‹, und dann ging der Präsident hinter dem Rednerpult zu Boden.
Cordelia, die unkontrollierbar hyperventilierte, begann zu schreien, als ein Dutzend weiterer Hände ihre Arme, Taille und Beine packten. »B-Bitte sperrt mich nicht wieder ein! Ich konnte sie nicht annehmen. Ich wollte einfach bloß nach Hause gehen. Nehmt diese verdammte Ampulle von mir weg! Nein! Nein! Keine Drogen, bitte, bitte! Es tut mir leid!«
Sie wurde hinausgebracht, und das Medienereignis des Jahres fiel in sich zusammen, genau wie Steady Freddy.
Sie wurde unmittelbar danach in einen ruhigen Raum gebracht, in eines der Verwaltungsbüros des Raumhafens. Nach einiger Zeit kam der Leibarzt des Präsidenten, hieß alle außer ihrer Mutter hinausgehen und gewährte ihr eine Atempause, damit sie ihre Selbstbeherrschung wiederfände. Nachdem sie einmal zu weinen begonnen hatte, brauchte sie fast eine Stunde, bis sie wieder aufhörte. Endlich ebbte das Hin und Her von Verlegenheit und Empörung ab, Cordelia konnte sich aufsetzen und sprechen. Ihre Stimme klang, als hätte sie eine schlimme Erkältung.
»Bitte, bitten Sie den Präsidenten in meinem Namen um Verzeihung. Wenn mich nur jemand gewarnt oder vorher gefragt hätte. Ich bin – jetzt in k-keiner guten Verfassung.«
»Wir hätten das selber einsehen sollen«, sagte der Arzt sorgenvoll. »Ihre Qual war schließlich viel persönlicher als die Erlebnisse eines gewöhnlichen Soldaten. Wir müssen um Verzeihung bitten, da wir Sie einer unnötigen Belastung ausgesetzt haben.«
»Wir dachten, es wäre eine hübsche Überraschung«, fügte ihre Mutter hinzu …
»Es war schon eine Überraschung, okay. Ich hoffe nur, dass ich nicht in eine Gummizelle gesperrt werde. Ich vertrage im Augenblick keine Zellen mehr.« Der Gedanke an eine Zelle schnürte ihr die Kehle zu, und sie atmete sehr bewusst, um sich wieder zu beruhigen.
Sie fragte sich, wo Vorkosigan jetzt war und was er jetzt wohl tat. Sich zu betrinken klang immer besser, und sie wünschte sich,
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