Scherben: Du tötest mich nicht (German Edition)
interessierst mich«, hörte er sich sagen und bereute es nicht. Sie hatte ihn ohnehin durchschaut. Empathie.
Vanessa nickte, als würde ihr seine Erklärung tatsächlich ausreichen. Erneut befeuchtete sie ihre Lippen, und unden kbare Gedanken nahmen in Thox‘ Kopf Gestalt an. »Vor zwei Jahren hatte ich eine ernsthafte Beziehung. Sein Name war Lennart. Wir … er war einfach perfekt für mich. Ich wollte mein Leben mit ihm verbringen, dabei waren wir gerade mal neun Monate zusammen. Zunächst sagte ich ihm nichts über meine … Veranlagung. Doch je deutlicher ich spürte, dass er mein Leben war, desto drängender wurde mir bewusst, dass ich ihn aufklären musste. Und das wollte ich auch. Ich dachte nicht, dass es ein großes Problem sein würde. Was ich von ihm wollte, war ja nichts Schlimmes. Ich wollte doch nur, dass er mir zeigt, wie sehr er mich liebt. Du musst wissen, Lennart war ohnehin – unbeabsichtigt – immer irgendwie grob. Er sollte das doch nur intensivieren. Also habe ich es ihm eines Tages einfach gesagt.« Sie stockte.
»Wie hat er reagiert?«, versuchte Thox, ihr das scheinbar schmerzhafteste G eheimnis zu entlocken.
Vanessa schluckte, ihr Gesicht war plötzlich eine erstarrte, verletzliche Maske. »Was glaubst du? Er hat mich ausg elacht. Er dachte, ich würde Scherze machen. Er hat mich nicht ernst genommen. Als ich ihm sagte, dass ich es sehr wohl bitter ernst meinte, war er verwirrt. Er hat es nicht wirklich verstanden, aber ich habe es ihm auch nicht angemessen erklärt. Nicht so wie dir jetzt. Das war mein Fehler. Lennart war plötzlich distanziert, hat sich von mir abgewendet.« Sie schloss ihre Augen in bitterer Erinnerung. »Aber was er dann getan hat, war unentschuldbar – ebenso wie meine Reaktion.«
»Was ist passiert?«
Vanessa lächelte verkrampft, in ihren Augen sammelte sich Wasser. »Demütigung, Kontrollverlust, Katastrophe. In dieser Reihenfolge«, flüsterte sie mit brüchiger Stimme.
»Erkläre mir das.« Thox wollte sie wieder anfassen, doch er verbot es sich. Das würde ihn bloß ablenken, und das dur fte nicht passieren. Denn ihre Worte waren wichtig.
Jetzt sah sie ihm direkt in die Augen. »Lennart … er hat mich falsch verstanden. Vielleicht wollte er mich auch missverst ehen. Er verwechselte körperlichen Schmerz mit Demütigung. Vielleicht hat er mein Geständnis aber auch nur zum Anlass genommen, um etwas auszuleben, wovon er immer geträumt hat.«
»Hat er dich betrogen?«
»Besser. Er wollte, dass ich zusehe, während er eine andere vögelt. ‚Ich binde dich sogar irgendwo fest, wenn du das willst‘, hat er gesagt, dieser beschissene Wichser. Er hatte nichts verstanden. Eines Tages kam ich zu ihm nach Hause, und er wartete bereits auf mich. Bei ihm war ein Mädchen, keine Ahnung, woher er sie kannte. Sie lag in seinem Bett, ohne Kleider, ohne Verstand. Er wollte sie vögeln, und ich sollte zusehen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich gedemütigt gefühlt habe.«
»Was hast du getan?«
Vanessa biss sich auf die ohnehin schon verkrustete Unterlippe, bis die alte Platzwunde wieder blutete. »Ich bin total ausgeflippt«, sagte sie abwesend.
Thox hatte die beunruhigende Ahnung, dass sie nicht übe rtrieb. Er konnte sich sehr gut vorstellen, was passierte, wenn Vanessa Justine Seebusch ausflippte. »Was bedeutet das?«, fragte er dennoch. Er musste es genau wissen.
Vanessa rang nach Worten. Sie schluckte mehrfach gezwu ngen, dann schüttelte sie den Kopf, vermied den Blickkontakt mit Thox. »Ich … i…ich rauche nicht mehr«, stotterte sie dann.
Thox hatte das Gefühl, etwas verpasst zu haben. »Was?«
»Seit diesem Tag rauche ich nicht mehr.« Sie machte eine Pause, versunken in Gedanken, doch nachdem sie sich geräuspert hatte, fuhr sie plötzlich mit fester Stimme fort: »Ich habe mich danach eine Weile in der S&M Szene umgesehen. Dunkle Keller, billige und teure Clubs, aber das … das ist es nicht, wonach ich suche. Da geht es nur um Sex, es erregt diese Leute, das Bewusstsein zu verlieren, wenn sie zum Orgasmus kommen. Ich habe Schwänze gesehen, die hart wurden, weil jemandem der Hintern versohlt wurde. Aber so bin ich nicht. Das hat nichts damit zu tun, wer ich bin. Ich habe stets nur zugesehen und Dinge gesehen, die ich gerne aus meiner Erinnerung streichen würde. Aber das kann ich nicht.« Sie verdrehte resignierend die Augen. »Irgendwann hörte ich in irgendeiner Sendung im Fernsehen – da war so ein
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