Scherben: Du tötest mich nicht (German Edition)
Schlaftabletten, von einem Arzt vor Monaten wegen seiner Alpträume verschrieben, würgte er ebenfalls mit einigen harten Schlucken Hochprozentigem herunter.
Auch dies musste mittlerweile einige Stunden her sein, denn Thox fand sich schließlich auf dem Fußboden in einer ihm zunächst unbekannten Ecke seiner umgebauten Lagerhau swohnung in einem delirierenden Dämmerzustand wieder. Neben ihm konnte er verschwommen eine erneute Pfütze seines Mageninhalts erkennen. Offenbar hatte sein hängender Kopf ein frühzeitiges Ableben verhindert. Pech.
Hämmern.
Da war plötzlich ein Hämmern, und es dauerte einen Augenblick, bis Thox erkannte, dass es nicht in seinem Kopf war. Er versuchte, es zu ignorieren oder ihm zumindest keine Beachtung zu schenken. Immer noch benebelt und mit schwachen Beinen kämpfte sich Thox vom Boden hoch und schleppte sich kraftlos in die offene Wohnküche. Dort wusch er sich am Waschbecken mit eiskaltem Wasser das Gesicht, um wieder Leben in seinen geschundenen Körper zu bekommen. Das Wasser holte ihn ein Stück weit zurück in die Realität, doch das war gleichzeitig wie ein Schlag ins Gesicht. Erst jetzt bemerkte er das flaue Gefühl in seinem Magen und den säuerlichen Gallegeschmack im Mund. Seine Mundschleimhaut war von dem Alkohol und der Magensäure gereizt und verlangte nach mindestens einer Spülung, möglichst mit einem angenehmeren Geschmack. Doch der Gedanke, etwas zu schlucken, was unvermeidlich in seinem Magen landen würde, verschlimmerte die Übelkeit um ein Vielfaches, und er hatte Zweifel, ob er überhaupt etwas hinunter bekommen würde. Dennoch musste er etwas zu sich nehmen, was weniger hochprozentig war, wenn er sich weiterhin auf den Beinen halten wollte, auch wenn ihm dies wie eine unüberwindbare Herausforderung erschien.
Als Thox seinen Kopf hob, um sich abzutrocknen, fiel sein Blick auf die übergr oße rosa Tasse neben der Spüle. Das war Annas Tasse gewesen, aus der sie stets ihren morgendlichen ‚Eimer‘ Kaffee getrunken hatte. Nun würde sie nie wieder daraus trinken. Wie diese Tasse künftig leer bleiben würde, so groß und geisterhaft verlassen seine Wohnung seit einigen Tagen war, so war auch sein Leben auf einen Schlag sinnlos und tot. Erneut spürte Thox den drängenden Wunsch, er selbst wäre bei dem Unfall ums Leben gekommen. Sein Tod hätte ihn physisch zerrissen, wie ihr Tod ihn nun psychisch zerriss. Er war zwar noch da – am Leben, doch innerlich war er tot.
Wieder dieses Hämmern.
Erschrocken fuhr er zusammen und blickte von der Tasse auf. Das Klopfen hatte er völlig vergessen. Er wusste ganz genau, wer da vor seiner Tür stand, und er wünschte, Jonas würde wieder verschwinden. Gleichzeitig wusste Thox aber auch, wie hartnäckig er war. Schon immer. Jonas würde nicht so einfach verschwinden.
Thox wankte einige Schritte weiter zum Kühlschrank. Er würde dort nichts fi nden, was seinen Magen erfreuen könnte, doch darum ging es ihm nicht mehr. Sein Magen musste zurück stehen, es waren sein Körper und sein Geist, die er stärken wollte, bevor er Jonas gegenüber trat.
Im Kühlschrank fand er nichts weiter als einige Flaschen Bier, ein angebroch enes, bereits leicht grünliches Sandwich und eine offene Tüte Milch. Thox glaubte sich zu erinnern, noch vor ein paar Tagen – oder war es erst gestern? – etwas von der Milch in seinen Kaffee geschüttet zu haben. Zögerlich schnupperte er an dem offenen Ende und befand sie schließlich für trinkbar. Er nahm einige Schlucke aus der Milchtüte und war überrascht, dass sein Magen die kalte Flüssigkeit nicht sofort wieder heraus beförderte. Tatsächlich tat ihm die Milch gut. Sie war kühl, er spürte, wie die Kälte seine Speiseröhre hinunterfloss und seinen Magen beruhigte. Jedenfalls fühlte er sich schon um einiges besser, als er die Milchtüte wieder zurück in den Kühlschrank stellte. Gegen den Schmerz in seinem Herzen half jedoch auch die Milch nichts.
Und wieder das Hämmern, diesmal noch drängender als die Male zuvor. In g ewisser Weise bewunderte er Jonas für seine Ausdauer, gleichzeitig wünschte er ihn zur Hölle.
Schließlich ergab Thox sich seinem Schicksal und schlur fte – er spürte bereits die Wut in sich aufsteigen – zu seiner Wohnungstür.
Wie erwartet stand Jonas vor ihm, nicht lächelnd, nicht gri nsend, mit einem Gesichtsausdruck so dunkel wie der Anzug, den er trug. Er hatte einen Becher Kaffee in der Hand, den er trotz der Krücken, mit denen er sein
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