Scherben: Du tötest mich nicht (German Edition)
Möchtegern-Sternchen auf so einer dämlichen Promi-Party – wie sehr es wehtäte, sich ein Tattoo stechen zu lassen.« Wieder lächelte Vanessa matt und schüttelte ungläubig den Kopf. Thox erinnerte sich an das große Bild auf ihrem Rücken, und wie schon vor ein paar Tagen war er der Überzeugung, dass die von Blumen umrahmten Schriftzeichen sicher nicht ‚Sonnenschein’ bedeuteten.
Und als hätte sie seine Gedanken erraten, sagte Vanessa dann: »‚Schmerz ist Liebe‘, ganz schön dämlich, ich weiß. Aber ich und der Tätowierer – ich weiß nicht einmal seinen Namen – hatten irgendwie einen Draht zueinander. Zumi ndest habe ich mir das eingebildet. Ich fühlte mich zu ihm hingezogen, dabei war er selbst von oben bis unten tätowiert. Aber er war eben der Mann mit der schmerzhaften Nadel. Ich glaubte plötzlich, er würde mich mögen, mehr als seine anderen Kunden. Ich war für das Motiv drei Mal dort, ich habe es mir gut eingeteilt. Als ich das letzte Mal dort war … ich … ich kann es heute kaum glauben, aber ich habe mich von ihm in der Hinterkammer ficken lassen. Ich sagte ihm, dass ich es wolle, und er war sofort dabei. Immerhin war er der Mann mit der schmerzhaften Nadel. Aber in seiner Kammer … mir wurde plötzlich bewusst, dass er mich nicht mochte. Ich war nur eine Gelegenheit. Und genau so hat es sich angefühlt. Danach habe ich ihn niemals wiedergesehen. Aber an manchen Tagen … ich kann einfach nichts dagegen tun … zieht es mich wieder zu seinem Laden. Ich kann das Gefühl einfach nicht vergessen, auch wenn es nur eine Illusion war. Eine kurze Illusion von Liebe und Schmerz.« Wieder lächelte sie, diesmal traurig.
Thox empfand plötzlich Mitleid mit ihr. Auch er hatte se ine Erfahrungen mit Schmerz und Liebe gemacht, doch er war für sich zu einer anderen Erkenntnis gekommen als sie. »Verstehe ich dich richtig? Schmerzen verschaffen dir Glücksgefühle? Endorphine?«
Vanessa sah ihn an, und in ihren smaragdgrünen Augen war ein seltsames Funkeln zu sehen. Thox glaubte zu me inen, dass es Dankbarkeit war, doch er wollte sie nicht. Er verdiente sie nicht, für gar nichts, und auch nicht dafür, dass er versuchte, sie zu verstehen.
»Meine Sehnsucht nach Schmerzen ist nicht sexuell mot iviert«, sagte Vanessa dann erklärend. »Sie ist emotional motiviert. Ich brauche keine Schmerzen, um zum Orgasmus zu kommen. Aber ich brauche sie, um mich beim Sex – in jeder Situation – geliebt zu fühlen. Wenn jemand bereit dazu ist, mir Schmerzen zuzufügen, ist dies für mich ein Beweis der uneingeschränkten Zuneigung.«
Thox begriff immer mehr das Ausmaß ihrer Worte, und sie erklärten auch mehr, als es auf dem ersten Blick erschien. Wie konnte man jemanden bei einer Entführung gefügig m achen, wenn dem Opfer körperliche Schmerzen nichts ausmachten?
»Dann glaubst du jetzt etwa, ich bin in dich verliebt?«
Vanessa lächelte nicht, kein verlegenes Mädchenkichern, kein erröteter Kopf. Aber das hätte Thox auch überrascht.
»Nein«, sagte sie ernst und sah ihn durchdringend an.
»Aber du empfindest Zuneigung für mich?« Er wusste nicht, warum er das wissen wollte. Es spielte ohnehin keine Rolle. Vanessas Schicksal war besiegelt und eine düstere Romanze passte nicht dazu.
»Ich habe keine Angst vor den Schmerzen, die du mir zuf ügen kannst. Du machst mir keine Angst. Seit ich weiß, dass du mich nicht umbringen wirst, habe ich keine Angst mehr vor dir. Und ich hasse dich nicht.«
Thox verspürte Erleichterung und Ablehnung zugleich. Mit Hass kannte er sich aus, mit Hass wusste er umzugehen, und es war für ihn leichter, es zu akzeptieren. Das war ihm schon damals bei Anna aufgefallen, doch da waren die U mstände auch anders gewesen.
»In Anbetracht dessen, was ich alles mit dir gemacht habe, ziemlich unglau bwürdig«, sprach er seine Gedanken aus.
Ihre Lippen, die schon nicht mehr bluteten, wurden schmal. »Hältst du mich für eine Lügnerin? Glaubst du, ich habe das nur erfunden, um … um was überhaupt?«
Thox drehte sich von ihr weg und stand auf. Er brauchte Distanz zu ihr, denn alles andere verwirrte ihn im Augenblick. »Ich versuche nur, zu verstehen. Immerhin habe ich dir beim Pinkeln und beim Heulen zugesehen. Ich habe dich glauben lassen, ich würde dich hinrichten, aber das hat dir keine Endorphine verschafft, stimmt‘s?« Er konnte ihre Blicke im Rücken spüren, also drehte er sich wieder zu ihr um. Und er hatte recht. Sie sah zu ihm auf, mit großen Augen
Weitere Kostenlose Bücher