Scherben: Du tötest mich nicht (German Edition)
brechen. Er wollte sie manipulieren, ihre Gedanken beherrschen, doch das würde ihm nicht gelingen! Sie wusste es besser. Jonas würde kommen und sie retten, ganz gleich, was Thox sagte. Es war nur eine Frage der Zeit. Und deshalb brauchte sie auch nicht wegzulaufen! Jonas würde sie holen, und wenn es soweit war, wollte sie da sein. Als Beweis ihres Vertrauens zu ihm. Dann würde sie Thox ins Gesicht lachen: Ha! Du Scheißkerl!
Ja, sie würde bleiben. Nicht weglaufen. Tief in ihrem I nneren wusste sie jedoch, dass da noch mehr war. Es gab noch einen Grund. Doch den Gedanken an den anderen Grund ließ Vanessa gar nicht erst zu. Sollte er doch in ihrem Unterbewusstsein verrotten!
Mit dieser Entscheidung stand Vanessa langsam von dem Bett auf und verließ auf Zehenspitzen das Schlafzimmer. Sie konnte nicht genau sagen, warum, aber die Wohnung ihres Entführers interessierte sie. Bei ihrem Besuch mit Jonas hatte sie keine Gelegenheit gehabt, genauer hinzusehen. Zu dem Zeitpunkt hatte es sie aber auch noch nicht interessiert. Jetzt war das anders. Sie wollte hinsehen, ganz genau. Mit Augen und Händen.
Barfuß wanderte sie geräuschlos durch die fremde Wohnung. Sie wusste gar nicht, wo sie anfangen sollte. Welcher Ort im Haus sagte am meisten über einen Menschen aus? Sein Badezimmer kannte sie bereits, ebenso wie den speziellen Lagerraum.
Zunächst führte sie ihr Streifzug zu dem Bücherregal, das ihr seltsam deplatziert und fremdartig in dem weitläufigen Raum mit dem Billardtisch und der Min ibar vorkam. Thox schien ihr nicht besonders belesen, was auch die geringe Anzahl an Büchern bestätigte. Lediglich ein Dutzend befanden sich in dem viel zu großem Regal. Die Titel gaben jedoch keine offensichtlichen Psychosen preis, keine Bücher über Serienmörder, keine Medizinwälzer mit Tipps und Tricks für Amputationen. Stattdessen technische Bücher, Reiseführer und Kochbücher – ?? – sonst nichts. Keine psychologischen Abartigkeiten, die seinen schlechten Charakter widerspiegelten.
Schließlich ließ sie das Bücherregal hinter sich und wanderte weiter zu dem kleinen Schränkchen, auf dem der zweite Fernseher stand. Sicher würde sie dort in einer Schublade einige besonders abartige Pornofilme finden.
Doch statt Pornos fand sie Unterwäsche. Während sie vor dem Schrank hockte, wühlte sie in feinster Damenspitze, schwarze und rote, selten grau oder weiß. Baumwolle, Satin, Seide, fast alles war vertreten, knappe Tangas und Strings, ebenso wie Jazzpants und Hipsters. Keine BHs. Alles offenbar gewaschen, ein frischer Duft von Waschmittel und Spülung war ihr beim Öffnen sofort entgegen getreten.
Vanessa war überrascht. Die Wäsche konnte unmöglich ihm gehören, doch wem gehörte sie dann?
Und dann, zwischen der Vielfalt an Slips, entdeckte sie etwas anderes: Ein Foto, eingeschlossen in einem edlen, mit kleinen Ranken verzierten silbernen Bilderrahmen. Darauf war eine Frau zu sehen. Vanessa erkannte sofort, dass sie sehr hübsch war. Jung, blond und blauäugig strahlte sie glücklich in die Kamera, auf einer Wiese hockend mit einem großen, goldenen Labrador im Arm. Hinter ihr stand, kaum wahrzunehmen, aber trotzdem da, ein lachender Mann.
Thox.
Dieses Foto verstörte Vanessa mehr als alles, was sie bislang in Thox‘ Gefangenschaft erlebt hatte. Einfach alles auf diesem Bild widersprach dem, was sie von Thox zu wissen glaubte. Er sah glücklich aus. Er und die Frau wirkten zufrieden, zusammengehörend, verbunden im Glück. Vanessa starrte fassungslos auf diese Momentaufnahme. Diesen Thox hatte sie noch nie zuvor gesehen. Sie glaubte nicht, dass er überhaupt noch existierte, irgendwo. Was war nur geschehen? Er war jünger auf dem Foto, vielleicht ein paar Jahre, scheinbar jedoch ein ganzes Leben. Und wer war sie? Warum hatte sie aufgehört, ihm diese offensichtliche Lebensfreude zu schenken?
Plötzlich legte sich ein fester Griff um die offene Haut ihrer rechten Hand, mit der sie das Foto hielt. Erschrocken blickte sie auf. Thox stand neben ihr und sah zornig auf sie hinab. Vanessa erstarrte.
»Was tust du da?«, fragte Thox aggressiv, während er das Foto in ihrer Hand ansah. Und in diesem Moment wurde Vanessa klar, dass sie einen furchtbaren Fehler begangen hatte.
2:00 Uhr
Ohne Vorwarnung schlug Thox ihr mit der Faust ins Gesicht. Noch nie zuvor hatte er eine Frau mit der Faust geschlagen, doch sie hatte es verdient!
Vanessa wankte zurück und ließ den Bilderrahmen fallen. Das
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