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Scherben: Du tötest mich nicht (German Edition)

Scherben: Du tötest mich nicht (German Edition)

Titel: Scherben: Du tötest mich nicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Ruhkieck
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dieses Zeichen zu lesen. Noch war es – gemessen an der Jahreszeit – recht mild, wenn auch feucht, aber bald schon würde sich die Feuchtigkeit am Boden ausdehnen und zu Eis erstarren. Thox konnte nicht sagen, woher er das wusste, gleichzeitig war ihm jedoch bewusst, dass er sich nicht irrte. Er hatte einfach eine Nase für Veränderungen. Und an diesem Tag lag eine Veränderung in der Luft. Ihm war nur noch nicht klar, ob sich diese lediglich auf das Wetter beschränkte.
    Trotzdem entschloss er sich am späten Abend, seine Schu ldigkeit zu tun und auf die Party seines Kommilitonen Thorsten Jäger zu gehen. Er und Thorsten studieren an der Uni Hamburg Maschinenbau im fünften Semester, und Thorsten war der einzige Kontakt, den Thox pflegte. Allerdings mochte er ihn nicht besonders und gab sich nur mit ihm ab, um im sozialen Umfeld der Universität nicht vollkommen unterzugehen. Wenigstens war Thorsten unkompliziert und distanziert, nicht anspruchsvoll, und so war es Thox am liebsten. Er mochte es nicht, wenn ihm jemand zu nahe kam.
    Die Party entpuppte sich als Sit-in, bei der sich Thorsten und fünf weitere Kumpel auf Boden und Couch herum fläzten, ein ums andere Mal »Loose yourself« von Eminem hö rten, einen Joint nach dem anderen rauchten und sich wie die Größten vorkamen. Thox bereute vom ersten Augenblick an, seine Wohnung verlassen zu haben, um diesem traurigen Beisammensein beizuwohnen. Und doch brachte er es nicht fertig, einfach aufzustehen und zu gehen. Eine plötzliche Trägheit und die Unlust, in die Kälte der Nacht zurückzukehren, hielten ihn in der Trostlosigkeit der Situation gefangen. Also blieb er in der Ecke des Zimmers auf der speckigen Matratze sitzen und beobachtete diese armseligen Kreaturen, wie sie immer higher wurden. Thox hielt die meisten Menschen für nutzlose Idioten, da machte er bei diesen im Speziellen auch keine Ausnahme. Vielleicht wären sie für ihn leichter zu ertragen gewesen, wenn er sich dazu gesetzt und selbst einen Zug von dem Joint genommen hätte, wozu er ohnehin immerzu aufgefordert wurde, doch ihm lag zu viel an seinen Hirnzellen, um sie für einen zweifelhaften Rauschzustand aufs Spiel zu setzen. Er bevorzugte es, Kontrolle über sich und die Situation zu haben. Das gab ihm ein Gefühl von Sicherheit, auf das er zu verzichten nicht bereit war. Andererseits hatte ihm das bisher auch nicht geholfen …
    Irgendwann packte Thorsten und seine bekiffte Man nschaft der Heißhunger. Thox nahm es freiwillig in die Hand, für ihr leibliches Wohl zu sorgen und bei einem Lieferservice fünf bis zehn Pizzen – Thorstens wirre Worte – zu bestellen. Endlich hatte er einen Grund, aus der Armseligkeit des Abends zu entfliehen, was ihm aus eigener Kraft nicht gelungen wäre.
    Er wartete in der Küche auf die Pizzen, nachdem er es nicht über sich gebracht hatte, in das stinkende Zimmer mit den Grasleichen zurückzukehren. Stattdessen saß er gedanke nverloren am offenen Fenster auf der Fensterbank und beobachtete die Atemwolken seines lebenden Körpers. Draußen war es kalt, doch der Frost war vorläufig ausgeblieben. Dennoch glaubte Thox nicht, dass er sich geirrt hatte. Der Frost würde kommen, nur nicht in dieser Nacht. Die Veränderung lag spürbar in der Luft. Sie war bedrückend und spannend zugleich, doch Thox gefiel sie ganz und gar nicht.
    Als es eine dreiviertel Stunde später an der Tür klingelte, regte sich keiner der inzwischen müde gewordenen Idioten mehr. Thox wusste, was zu tun war. Er musste nur die Pizzen entgegennehmen, sie mit dem Geld aus der Haushaltskasse in der Küche bezahlen und gleich darauf das Weite suchen. Für seine sozialen Kontakte hatte er an diesem Abend genug g etan.
    Mit dumpfen Schritten hörte Thox den armen arbeitenden Teufel die Treppe in den dritten Stock des alten Gemäuers stampfen, während er an den Türrahmen gelehnt darauf wa rtete, sich in die Ruhe seiner eigenen vier Wände zu verkriechen.
    Das Erste, was Thox an ihm wiedererkannte, war sein ro tbrauner Haarschopf, den er jetzt überraschend lang trug. Noch nie hatte er ihn mit Haaren bis zu den Schultern gesehen.
    »Was … was machst du hier?«, fragte Thox den unerwart eten Lieferanten, seinen einst besten Freund und größten Feind, fassungslos darüber, ihn zu sehen. So viel Zeit war vergangen, Jahre, und er spürte den Schmerz über ihre verlorene Zeit. Gleichzeitig war er verblüfft, wie sehr es ihn erleichterte, ihn wiederzusehen. Als würde ihm eine schwere Last

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