Scherben: Du tötest mich nicht (German Edition)
verschwinden, und nur diese Verbindung zwischen ihren Augen wäre existent und von Bedeutung. Und dann war ihre kalte Hand an seiner, mit der er das Brot hielt. Sie wollte ihm das Sandwich abnehmen und berührte ihn dabei. Nichts besonderes, und doch war es, als würde sie alles andere zerschmettern und nichts als Scherben zurücklassen.
Plötzlich klingelte das Telefon. Vanessas Hand zuckte z urück, ganz so, als fühle sie sich ertappt, und auch Thox ließ überrascht das Brot los, das für einen Moment in der Luft zu schweben schien, bevor es auf das Laken der Matratze fiel und einen weiteren roten Fleck hinterließ.
Nach dem x-ten Klingeln beendete der Anrufbeantworter das schrille Geräusch mit einem dezenten Klick. Keinen Ate mzug später drängte sich erneut Jonas‘ gehetzte Stimme zwischen Thox und Vanessa.
»Thox, verdammt! Was treibst du bloß? Langsam … ich werde schon in der Agentur gefragt, wo sie steckt. Mir gehen langsam die Ausreden aus. Ich habe jetzt überall erzählt, dass sie familiäre Probleme hat. Was auch immer du mit ihr vo rhast, bring es endlich hinter dich!«
Es war wie ein brutaler Tritt zurück in die Realität. Thox stand energisch vom Bett auf, stampfte zu seinem Telefon und riss wütend das Kabel aus der Buchse. Dann drehte er sich zu Vanessa um.
»Na, glaubst du mir jetzt?«, rief er angewidert. Es bereitete ihm keine Genugtuung, Vanessa mit der Wahrheit zu konfrontieren. Es erinnerte ihn bloß an den Hass und den Ekel, die ihn mit Jonas verbanden, und was er bereit war zu tun, um dies auf brutalste Weise zu bereinigen.
»Sei still«, flüsterte Vanessa plötzlich mit dünner Stimme. Wenn Thox g eglaubt hatte, der Anruf von Jonas hätte nur ihn in die Realität geholt, dann erkannte er jetzt, dass er sich irrte. Denn er sah Vanessas Gesicht. Ihre Augenbrauen waren zusammengezogen, ihr Mund leicht geöffnet, die Stirn lag in fragenden Falten. Ihr Kinn zitterte und ihre Augen schwammen in Tränen. Ihre Enttäuschung, die Erkenntnis und ihr Schmerz waren eine Realität, die Thox kaum ertragen konnte.
»Es tut mir leid.«
In ihre toten Augen kam plötzlich Leben, als sie aus einem Nichts irgendwo im Nirgendwo direkt in seine Augen sah. »Lügner«, zischte sie, während die erste Träne über ihre Wange lief. Sie gab ihm die Schuld, dass sie diesen Schmerz empfand. Dabei war dies das Einzige, an dem er keine Schuld trug.
17:15 Uhr
Vanessa schien den Schock überstanden zu haben, und was blieb, war nichts als Bitterkeit. Die letzten zwei Stunden ha tte Thox sie alleine gelassen, wieder mit beiden Händen ans Bett gebunden. Irgendwann hatte er eine einsame Mahlzeit zu sich genommen, die jedoch nach nichts schmeckte. Er nahm nichts um sich herum wahr, saß einfach nur da, dem Überlebenstrieb folgend, seinen Magen zu füllen. Mehr nicht.
Jetzt stand er mit einem Glas Wasser vor Vanessa.
»Du wirst mich nicht umbringen, oder?«
Thox knallte das Glas auf den Nachttisch. »Beschissener Blödsinn!« Er stamp fte ruhelos um das Bett herum und ließ sich in seinen Sessel fallen.
»Beschissener Blödsinn?«
»Du bist eine dämliche Kuh.«
Vanessa lächelte, doch es war ein freudloses, leeres L ächeln. »Ich bin eine dämliche Kuh? Du gibst mir zu essen und zu trinken, versorgst meine Wunden, lässt mich mit dir reden. Wenn du mich wirklich umbringen wolltest, hättest du es längst getan. Aber ich lebe noch.«
»Ich warte nur. Es ist einfach noch nicht soweit.«
Vanessa musterte ihn einen Augenblick aus der Entfernung, dann schüttelte sie langsam den Kopf. »Ich glaube dir nicht.«
Thox wurde erneut wütend.
»Du hast recht! Du hast mich durchschaut! Wir sind hier in Utopia und ich fessel dich nur an mein Bett, weil das Leben so schön ist. Wach auf, du blöde Gans! Du träumst dir das alles nur kuschelig warm und schön. Aber ich bin kein netter Kerl, der sich um dich sorgt. Das nennt man Helsinki Syndrom …«
Vanessa verdrehte überheblich die Augen. »Stockholm.«
»Was?«
Sie bewegte sich, scheinbar um eine bequemere Position ei nzunehmen. »Ich nehme an, du hast dein Scheinwissen aus irgendeinem ‚Stirb Langsam‘ Film? Aber das ist falsch. Es ist nach einem Fall in Stockholm benannt, als Bankangestellte mit ihren Kidnappern sympathisierten. Stockholm Syndrom.«
Thox legte irritiert die Stirn in Falten. »Das ist doch vol lkommen egal, du Klugscheißer!«
»Ich leide jedenfalls nicht unter dem Stockholm Syndrom, denn das würde b edeuten, ich
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