Scherben: Du tötest mich nicht (German Edition)
sie ihn zum ersten Mal sehen. Hatte sie ihn denn eben nicht bemerkt?
»Sowas in der Richtung.« Er stellte den Teller auf den Nachttisch und setzte sich zu ihr auf die Matratze. Ihm gefiel es, wie sie aus ihrer liegenden Position neugierig zu ihm aufsah. Wenn er sich nur ein wenig weiter zu ihr herunter beugte, könnte er die kupferfarbenen Sommersprossen in ihrem Gesicht erkennen, die bei einer Frau – oder zumindest bei dieser Frau – schöner waren und mehr schmückten, als Schminke es könnte. Davon war nach ihrer letzten Dusche ohnehin nichts mehr übrig geblieben. Aber Thox beugte sich nicht vor, und er wollte auch nicht ihre Sommersprossen betrachten.
»Andere Position? Was hältst du von Sitzen?«, schlug er vor. Sie sollte ja nicht im Liegen an dem trockenen Brot erst icken.
Vanessa nickte langsam. Es war klar, dass sie misstrauisch war. »Sitzen wäre schön. Und vielleicht … meine Hände sind ganz kalt und taub. Könntest du sie nicht vielleicht losbi nden? Nur kurz, damit sie nicht ganz absterben?«
Statt zu antworten, griff Thox unter ihre Arme, hob sie etwas an und brachte sie in eine sitzende Position. Ihre Achselhö hlen waren samtig weich, keine Spur von Stoppeln, obwohl sie bereits seit vielen Tagen hier war. Wie viele waren es schon? Vier Tage oder fünf? Ganz gleich, wie viele Tage es waren, es kam ihm vor wie ein Leben. Und ganz gleich, auf welche Weise sie ihre unnötigen Körperhaare entfernte, sie wusste ziemlich genau, was sie tat. Diese Achselhöhlen waren das weichste Stück Haut, das er jemals berühren durfte, und es machte ihn unruhig. Er zog seine Hände zurück und sah Vanessa an. Sie betrachtete ihn neugierig. Vielleicht spürte auch sie eine verstörende Wirkung dieser beinahe intimen Berührung, die ein Kontrast zu allem zu sein schien, was sie bislang miteinander geteilt hatten.
Thox sah zuerst weg. Seine Hände machten sich nun doch an ihrer Fessel zu schaffen. »Ich binde dich los, aber nur kurz, und nur eine Hand. Mehr kann ich dir nicht anbieten.«
Wieder nickte Vanessa langsam. Thox hatte schnell ihre rechte Hand befreit, während er ihre linke Hand erneut festband. Nur kurz wanderte Vanessas Aufmerksamkeit zu ihren kalten Fingern, doch schnell war sie dann wieder bei Thox. »Danke.«
Dieses eine Wort brachte Thox aus dem Konzept. Er wol lte es nicht hören und sie sollte es auch nicht so meinen. Also sagte er nichts, griff nach dem Teller, nahm das minderwertige Sandwich in die Hand und hielt es ihr entgegen.
»Hier, wenn du willst. Es wird aber nicht schmecken, das sage ich dir gleich.«
Vanessa sah zu dem Sandwich, dann wieder zu Thox. »Kannst du … würdest du mir helfen? Ich kann meine Hand noch nicht wieder spüren.« Thox stöhnte. Er wusste schon jetzt, dass es ihm gefallen würde. Und das sollte es besser nicht.
Dennoch führte er das Sandwich zu ihren Lippen, und s ofort biss sie gierig in das trockene Brot. Ihr Kauen wirkte mühsam und schmerzhaft, doch sie beschwerte sich nicht. Nachdem sie sich den Bissen offensichtlich herunter gewürgt hatte, biss sie erneut in das Weißbrot in seinen Händen. Thox empfand es als seltsam reizvoll, ihr beim Essen zuzusehen. Ihr Gesicht hatte durch seine eigene Hand, seine brutale Hand, etwas von seiner Schönheit eingebüßt, doch von der Grazie, die Vanessa ausstrahlte, hatte sie nichts genommen. Selbst jetzt, da ihr verfärbter Kiefer diese mahlenden Bewegungen des Kauens tat, war es, als unterstreiche dies nur ihre strahlende Einzigartigkeit. Thox spürte den Wunsch, Vanessa anzufassen, sie zu berühren, doch nicht mit seinen Fäusten. Es war keine Gewalt, die er wollte. Die sensiblen Nervenenden in seinen Fingerspitzen verlangten nach der sinnlichen Berührung ihrer Haut. Was hatte sie nur mit ihm angestellt?
Ihm kam plötzlich ihr Angebot vom Vortag in den Sinn. Sie hatte ihn regelrecht aufgefordert - immer wieder - sich an i hrem Körper zu bedienen. Doch das könnte er nicht ertragen, obgleich diese Information nicht bis zu seinen Lenden vorgedrungen war. Obwohl es so schmerzhaft lange her war, dass er eine Frau angefasst hatte, wäre es ihm einfach unmöglich gewesen. Aber jetzt, während er sie beobachtete, wie sie ihr Sandwich aß, bereute er tief in seinem Inneren diese Unfähigkeit.
Plötzlich sah Vanessa ihn an. Thox hatte nicht mitbeko mmen, dass sie zu kauen aufgehört und seinen Blick bemerkt hatte. Ihre Augen trafen sich, und Thox hatte den Eindruck, die Umgebung würde verschwimmen, gänzlich
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