Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Scherben

Scherben

Titel: Scherben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ismet Prcic
Vom Netzwerk:
gewinnen.«
    »Verfluchte Arschlöcher.«
    »Wer?«
    »Was glaubst du wohl?«
    »Asmir und Bokal sind meiner Mutter scheißegal. Die sind nicht mit ihrem Bus hergekommen. Aber sie hat sich für die Musiker verbürgt, sie ist verantwortlich dafür, dass sie mit zurückkommen.«
    Etwas daran, wie er den Satz formulierte, ließ in mir eine Alarmglocke läuten.
    »Was ist mit mir und Ramona?«
    »Was soll sein mit dir und Ramona?«
    » Uns lässt sie ja wohl gehen, oder?«
    »Ramona schon, das weiß ich. Ihr Vater hat wohl einen Deal mit ihr gemacht.«
    Meine Wut verwandelte sich in Panik. Alle Sirenen heulten.
    »Mein Vater auch«, sagte ich und schluchzte fast.
    »Keine Ahnung, Mann. Nicht mit Branka, sonst wüsste ich davon.«
    Meine Hände zitterten, und ich schob sie mir zwischen die Knie, so als würde ich frieren.
    »Wo willst du hin? Zu deinem Onkel in Amerika?«
    Ich schaffte es zu nicken.
    »Hör zu, Mann, du musst was tun, und zwar gleich. Die Typen da drüben sind von der Einwanderungsbehörde. Mutter hat sie geholt und ihnen erzählt, dass ein paar Leute von der Truppe verschwunden sind und Asyl beantragen wollen.«
    Ich konnte mich nicht bewegen, nicht mal meine Augen.Ich starrte einfach nur geradeaus, auf einen blauen Sandsack, der als Türstopper neben dem Bühneneingang lag. Verschwommen schob sich Brankas Gestalt daran vorbei, immer wieder, hin und her.
    Dann öffnete sich die Bühnentür und eine konservativ gekleidete Frau trat ein. Branka bat Ramona, ihr zu sagen, dass sie mich gefunden hatten. Ramona übersetzte, zeigte in meine Richtung, und die Frau sah mich an. Sie trug eine Brille mit großen Gläsern, dazu einen Pony und sah ein bisschen aus wie Joey Ramone. Ich wollte mich bewegen, aber meine Beine fühlten sich hölzern an, meine Füße waren wie festgeschraubt am Boden.
    Joey Ramone sagte etwas zu dem blonden Mann und ich hörte das Wort Reisepass . Omar hörte es auch. Ich spürte, wie er sich minimal zu mir herüberbeugte.
    »Wenn du deinen Reisepass jetzt aus der Hand gibst, bist du so gut wie in Bosnien«, flüsterte er mir zu, ohne die Lippen zu bewegen.
    »Sie empfehlen dir, ihm den Reisepass abzunehmen, wenn du willst, dass er mit der Truppe zurückfährt«, sagte Ramona zu Branka, die ohne zu zögern auf mich zukam.
    Das war’s.
    Mein Reisepass steckte in der vorderen linken Tasche meiner Jeansjacke. Mein Geld war in einem Tabakbeutel in der rechten Innentasche. Mein Name war Ismet. Der Sandsack war blau. Branka kam. Meine Hände klemmten zwischen meinen Knien. Mein Herz schlug mir bis in die Fingerspitzen. In meinem Gehirn drehte sich alles. Meine Beine waren aus Holz. Im Raum war es still. Meine Kehle war zugeschnürt. Branka kam näher. Unter meinen Achseln war es feucht. Im Raum war es still. Branka war da. Sie streckte die Hand aus. Ihre Lippen bewegten sich. Meine Kehle war zugeschnürt. In meinem Gehirn drehte sich alles. Und ich flog. Flog weit über allem. Mein Name war Ismet. Mein Herz schlug nicht.Ich blickte nach unten. Auf einen anderen Ismet. Dessen Herz schlug. Dessen Beine nicht aus Holz waren. Dessen Kehle nicht zugeschnürt war. Mein Reisepass war vorne in der linken Tasche seiner Jeansjacke. Mein Geld war in einem Tabakbeutel in seiner rechten Innentasche. Er wusste das. Branka war da. Verlangte meinen Reisepass. Mit ihren Lippen, die sich bewegten. Mein Name war Ismet. Er griff in die Tasche. Zog das Geld raus. Seine Gesichtszüge verzerrten sich. Er kramte tiefer. Suchte den Pass. An der falschen Stelle. Er stand in Panik auf. Er sah sich um. Wo ist dein Reisepass? , fragte Branka. Ich hab ihn im Zimmer vergessen. Sagte er. Wir gehen ihn holen. Sagte Branka. Der Sandsack war blau. Mein Name war Ismet. Mein Reisepass steckte vorne in der linken Tasche seiner Jeansjacke, und er gab ihn nicht her.
    Wir waren auf der Dundas Street. Flankiert von zwei geöffneten Schirmen und deren Besitzern ging ich bergab. Der lila-weiße Schirm gehörte Branka. Der schlichte schwarze dem Mann ohne Kinn.
    Mein Absatz schlappte beim Gehen, und mein Schuh saugte sich voll Wasser. Der Regen war kalt, meine Schultern waren hochgezogen, kein Hals. Dreimal bot Branka an, sich den Schirm mit mir zu teilen, dreimal lehnte ich ab. »Ich mag den Regen«, sagte ich. »Mein Schuh ist kaputt«, sagte ich auf Englisch. Der Mann ohne Kinn wirkte ernst und streng.
    »Ich kann kaum glauben, dass du deinen Pass nicht dabei hast«, sagt Branka.
    Vor dem Haus, die Treppe runter zur Haustür. Ich nahm

Weitere Kostenlose Bücher