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Scherben

Scherben

Titel: Scherben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ismet Prcic
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bereitwillig.
    »Tut mir leid«, sagte Allison, und ging mit ihm ein kleines Stück beiseite. Williams Kumpels standen herum, beäugten mich hasserfüllt. Ich schluckte und zählte die Schritte von der Bushaltestelle bis zum Gebäude und schluckte und schluckte und versuchte, so auszusehen, als wäre ich kein Zwangsneurotiker, sondern würde einfach nur auf und ab gehen. Mein Verstand befahl mir wegzulaufen, aber ich konnte nicht. Ohne Allison wollte ich weg; da war er wieder, der Magnetismus. William und sie standen vor einem Schmuckgeschäft, zwei Schatten, die sich vor glänzendem und poliertem Gold stritten.
    »Hey, du Wichser«, rief jemand hinter mir, und ich wäre fast zusammengeklappt wie ein Gartenstuhl. Dann begriff ich, dass es Bosnisch war. Ich drehte mich um und sah Bokal mit einem Gemälde unter dem Arm auf mich zukommen.
    »Was machst du denn hier?«, fragte er.
    »Ich mach mir in die Hose«. Ich bewegte das Kinn leicht zur Seite, als wollte ich auf das Schmuckgeschäft deuten. Er sah rüber, erkannte Allison und lachte.
    »Ist es endlich so weit, ja? Na gut, ich lass euch lieber allein.«
    Er wollte an mir vorbeigehen, aber ich packte ihn an der Jacke.
    »Wo willst du hin?«, fragte ich durch die Zähne. »Das da ist ihr Freund, und die anderen da drüben sind seine Kumpels. Er hat gesehen, wie wir Händchen gehalten haben.«
    Bokal musterte sie, kratzte sich am Bart, schätzte die Stärke des Gegners ab.
    »Die machen nichts«, sagte er.
    »Bleib trotzdem da.«
    »Hey, guck dir das mal an.« Er hielt mir das Gemälde vor die Nase. »Was hältst du davon?«
    Es war ein Akt in Blau- und Gelbtönen, mit einem Fenster im Hintergrund und einem Vollmond.
    »Die hab ich in einem Pub aufgegabelt. Hab behauptet, ich muss sie einfach malen. Da ist sie mit mir in einen Laden gegangen, hat mir Leinwand und ein paar Farben gekauft und mich mit nach Hause genommen. Als ich fertig war, hab ich sie gevögelt.«
    »Und das Bild hast du ihr nicht geschenkt?«
    »Ist doch mein Bild. Ich hab’s gemalt.«
    Ich blickte zu dem Schmuckgeschäft und sah, wie sichAllison und William umarmten. Nur ganz kurz, so wie Eheleute, die sich morgens verabschieden, bevor sie zur Arbeit gehen.
    »Leuchtet ein«, sagte ich zu Bokal.
    Allison kam rüber. Sie und Bokal tauschten ein paar Freundlichkeiten aus, dann ging Bokal weiter. Allison und ich bogen in eine der Straßen ab, die zum Queen’s Park führten, und ich schob meine Hand in die Tasche, aber sie griff hinein und nahm sie erneut.
    Zum zweiten Mal rief jemand hinter uns ihren Namen, William. Zum zweiten Mal an jenem Abend sagte sie Mist . Zum zweiten Mal zählte ich Schritte, während sie stritten, dieses Mal vor einer Pfandleihe, in deren Schaufenster elektrische Gitarren ausgestellt waren. Zum zweiten Mal konnte ich nicht einfach ohne sie gehen, trotz meines zweifelhaften Status, trotz meiner Angst, trotz allem.
    Dieses Mal dauerte es länger, und als sie endlich wiederkam, sagte sie:
    »William und ich sind Geschichte.«
    Wir gingen an einem Teich vorbei, zwischen Hecken, die so hoch waren wie Mauern, in deren Ecken der Nebel waberte wie Spinnweben im Wind. Da waren ein Spielplatz und ein Fußballfeld, Allison setzte sich auf die Schaukel, und ich ging zur Rutsche, machte mir aber nur die Jeans nass.
    »Schau mal, die Straßenlaterne, sieht aus wie ein Heiligenschein.«
    »Was ist ein Heiligenschein?«, fragte ich. Mein englisches Vokabular war rudimentär.
    »So was wie ein Zeichen von Erleuchtung.«
    »Was ist Erleuchtung?«
    »Gottes Gnade.«
    »Oh.«
    Ich wollte fragen, was Gnade war, aber ich hatte eine vageVorstellung, was das Wort bedeutete und wollte nicht, dass sie mich für dumm hielt.
    »In der religiösen Kunst sind das die Kreise um Jesus’ Kopf.«
    Plötzlich verspürte ich den Drang, mitten auf das Fußballfeld zu laufen. Sie sprang mir in die Arme und wir standen sehr lange so da, hielten uns fest. Ich spürte, wie heiß ihre Haut am Hals war, und unsere kalten Ohren berührten sich.
    »Kiss me, I’m Scottish«, sagte sie – die Aufschrift eines T-Shirts, das wir in der Stadt gesehen hatten.
    Wir atmeten einander ein. Sie berührte meinen Hintern, und ich bekam eine Erektion. Sie prüfte das Gras, aber es war zu feucht vom Tau, um sich darauf zu wälzen. Wir küssten und rieben uns aneinander, und die Zeit verging wie im Flug. Ein weißer Polizeiwagen glitt beinahe lautlos vorbei, leuchtete uns mit den Scheinwerfern an und fuhr dann sehr höflich, sehr

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