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Scherben

Scherben

Titel: Scherben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ismet Prcic
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um mich zum Gehen zu bewegen. Eine Sekunde lang dachte ich daran, ihm mit dem Handballen auf die Nase zu schlagen, die fragile Scheidewand zu zertrümmern und ihre Splitter in seine Nebenhöhlen zu treiben. Es kitzelte mich in der rechten Hand. Aber ich ließ sie an meiner Seite hängen und bewegte mich gehorsam auf das Bahnhofsgebäude zu.
    Wir gingen hinein und stiegen mehrere Treppen hinauf, vorbei an gaffenden Bürgern, die anscheinend alle wussten, dass ich in der Scheiße saß, und landeten in einem großen Büro im obersten Stockwerk. Es hatte riesige getönte Fenster an drei Wänden, durch die man größtenteils den Bahnhof, vor allem aber den Parkplatz überblicken konnte. Ich kapierte, dass der Polizist wahrscheinlich schon von seinem Schreibtisch aus beobachtet hatte, wie ich um die bosnischen Busse herumgeschlichen war. Ebenso gut hätte ich ein Sweatshirt mit der Aufschrift Illegaler Ausländer tragen können.
    »Setzen Sie sich«, sagte der Polizist, nahm die Kappe ab und offenbarte den Grund, weshalb er sie so tief ins Gesicht zog. Sein Kopf war oben eine kahle Kugel, ringsherum wuchsen unregelmäßige Büschel bräunlicher Haare. Er hängte die Kappe an einen Mantelhaken und griff nach der Türklinke.
    »Warten Sie hier«, sagte er, trat hinaus und kehrte zwei Sekunden später mit einem weiteren Polizisten zurück, der jünger war und ganz sympathisch wirkte. Der Junior-Polizist nahm am Schreibtisch vor mir Platz, spannte ein Blatt in die elektrische Schreibmaschine, schaute seinen Chef an und wartete auf Anweisungen.
    »Wir werden einen Bericht anfertigen«, sagte der kahle Polizist. »Beantworten Sie alle Fragen wahrheitsgemäß, kooperieren Sie, dann machen wir Ihnen die Sache so angenehm wie möglich.«
    »Selbstverständlich«, sagte ich, als sei ich empört wegender Unterstellung, ich habe nicht ohnehin die Wahrheit sagen wollen.
    »Heute ist der 29. Oktober 1995, 16:05 Uhr. Polizeiliche Außenstelle: Busbahnhof City. Der Verdächtige … Ihr Name?«
    »Ismet Prcić.«
    Die elektrische Schreibmaschine brummte und knackte unter den ungeschickten Fingern von Junior, der alles mitschrieb.
    »Name des Vaters?«
    »Osman.«
    Der kahle Polizist überprüfte den Wahrheitsgehalt der Antworten anhand der ersten Seite meines Ausweises.
    »Geburtsdatum?«
    »9. März, 1977.«
    »Geburtsort?«
    »Tuzla.«
    »Adresse in Kroatien?«
    »Ilica 702, 41000, Zagreb.«
    Ich habe keine Ahnung, wo diese glaubwürdige Angabe herkam. Dann fiel es mir wieder ein; es war die Adresse von Cousin Zvonko mit einer erfundenen Hausnummer. Der jüngere Polizist hackte sie in die Tasten, als wäre sie die Wahrheit.
    »Was machen Sie in Zagreb?«
    »Ich bin auf der Durchreise. Ich warte auf meine Auswanderungspapiere.«
    »Sie haben mir gesagt, Sie wollen nach Amerika, um zu studieren.«
    »Ja. Ich wandere aus, um zu studieren. Mein Onkel lebt dort, und er wird meine Ausbildung finanzieren.«
    Der Polizist verzog das Gesicht. Er ging zum Fenster, schüttelte den Kopf. Gute zwei Minuten starrte er schweigend hinaus, suhlte sich in seiner Macht. Ich blickte zu Junior, aber sein Gesicht blieb ausdruckslos. Er war nur zum Tippen da.
    »Tuzla ist die größte freie Zone in Bosnien«, sagte der Polizist, ohne sich umzudrehen. »Warum wollen Sie unbedingt weg?«
    »Wegen der besseren Ausbildung.«
    »Ach, kommen Sie! Millionen geht es schlechter als Ihnen. Verdammt noch mal, die Jugend Kroatiens ist dort drüben und riskiert ihr Leben und stirbt, um Ihr Land und Ihre Stadt zu verteidigen, und was machen Sie? Verstecken sich hier wie ein elender Schlappschwanz.«
    Meine Hände ballten sich zu Fäusten.
    »Ich verstecke mich nicht, weil ich ein Schlappschwanz bin, ich verstecke mich, weil Sie es den Bosniern nicht erlauben, sich legal hier aufzuhalten«, sagte ich, bevor ich mich bremsen konnte. »Im Übrigen bin ich legal eingereist, und zwar, weil Kroatien der von Tuzla gesehen nächste Ort ist, von dem aus ich emigrieren kann. Um zu emigrieren, braucht man aber Papiere. Papiere brauchen Zeit, und die habe ich ein bisschen überzogen. Würden Sie Ihrem Sohn oder Ihrer Tochter eine solche Chance verwehren? Eine kostenlose Ausbildung in Amerika?«
    Ich wischte mir die Tränen aus den Augen.
    Der Polizist ließ sich langsam auf der Kante von Juniors Schreibtisch nieder, so dass sein linkes Bein vor und zurück baumelte, und nahm noch einmal leidenschaftslos meinen Pass zur Hand. Sein abfälliges Grinsen kehrte zurück, angereichert mit

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