Scherben
ins Schloss fallende Tür oder zwei aufeinanderschlagende Gegenstände, dann das Kratzen von Metall auf Metall, als ein Duschvorhang aufgezogen wird, dann ein Wasserstrahl, der auf Emaille trifft. Du stellst die Flasche leise auf den Tisch und lokalisierst die Haustür. Im nächsten Moment bist du draußen, rennst übers Gras, vorbei an parkenden Geländewagen, Briefkästen und Basketballnetzen in Auffahrten, raus unter die sengende kalifornische Sonne, die inmitten eines gnadenlos blauen Nichts hängt.
Das Valley ist ein Dreckloch mit Palmen, eine ewige Vorstadt. Du läufst ungefähr fünfzehn Minuten lang in strammem Tempo und würdest jetzt nicht mehr zum Haus zurückfinden, selbst wenn du wolltest. Neighborhood-Watch-Schilder geben dir ein mulmiges Gefühl. Du meinst zu sehen, dass sich die Gardinen hinter den Fenstern bewegen. Vor dir ist ein bulliger Glatzkopf, der unerschütterlich im klaffenden Krokodilschlund eines El Camino in seiner Auffahrt herumschraubt, und du wechselst die Straßenseite, um ihm nicht zu begegnen.
Du brauchst jemanden, der dich abholt. Du musst irgendwie jemanden benachrichtigen, dass er dich abholen soll, du brauchst ein Telefon. Es ist ein weiter Weg von hier nach Thousand Oaks.
Du siehst in deinen Taschen nach und findest ein Plektrum, ein paar abgebissene Nägel, eine zerknüllte Apothekenquittung, aber keine Münzen. In deiner Brieftasche steckt dein Führerschein, eine ATM-Karte, dein bosnischer Pass, dazu ein paar Visitenkarten mit Kritzeleien hinten drauf, Namen und Nummern,bescheuerte Ideen, Wegbeschreibungen, Buchtitel, Bandnamen, irgendwelcher Blödsinn. Kein Geld, und das bedeutet, dass du einen ATM-Automaten finden und zwanzig Dollar abheben musst, damit musst du zum Wechseln in einen Laden gehen, und anschließend musst du ein Münztelefon finden. Du denkst, wenn du einfach einer großen Straße folgst, wirst du irgendwann auf eine Mini-Mall stoßen.
Größtenteils gibt es hier gar keine Bürgersteige. Das Valley ist nicht fußgängerfreundlich. An den roten Ampeln wirst du von Autofahrern angegafft. Das, oder sie weichen deinem Blick aus und verschließen ihre Türen.
Du hast Schweine tote Dorfbewohner fressen sehen: große, pinkfarbene, fleischige Eber, die graue, nasse, tote Menschen fraßen. Du hast auch noch andere Sachen gesehen: abgehackte Köpfe an selbstgezimmerten Torpfosten, Ketten aus Menschenohren, schwanzlose, zahnlose, brustlose, hodenlose, nasenlose, augenlose, fingerlose, armlose, kopflose, beinlose, bepisste, verschissene, angespritzte, zersägte, durchstochene, abgefackelte, niedergemetzelte, verschandelte Leichen von Männern und Frauen, die du kanntest. Du hast all das gesehen, und trotzdem sind die Bilder, die dich jetzt Nacht für Nacht, Schlummer für Schlummer verfolgen, Bilder aus dem Fernsehen, die du gleich zu Beginn des Krieges gesehen hast: die Nahaufnahme eines Turnschuhs, der sich bewegt, der verharrt, der sich wieder bewegt, bis eine langsame Kamerabewegung in die Totale das Schwein ins Bild bringt.
Erinnerung ist Bullshit.
Hör auf.
Du zwingst dich, dich umzuschauen. Irgendwas-Boulevard Ecke soundso. Die Fußgängerampel ist rot. Autos rollen vorbei: eine asiatische Lady in Weiß, ein dicker Mann mit roten Haaren, der eine Zigarette raucht, ein Mann mit einem schmalen Schnurrbart, ein Klischee-Hippie in einem VW-Transporter mit Batik-Lackierung, eine Polizeistreife. Du hasst es, dort zu stehen.
Du hast ein Lied im Kopf, irgendwas mit Akkordeon aus der Heimat. Du denkst an Kugeln, die in die Körper Nichtsahnender eindringen, an aufgerissene Brustkörbe, eingeschlagene Köpfe, heraussickernde Masse. Die Musik in deinem Kopf wird lauter, und dir wird klar, dass sie nicht nur in deinem Kopf spielt.
Ein Mann in schwarzer Hose und Unterhemd torkelt aus einem beigefarbenen Haus und durch ein Gartentor, hinter dem offenbar irgendwo jemand ein Lied spielt, das du kennst. Der Mann brüllt in sein Handy, und einen surrealen Moment später begreifst du, dass er Bosnisch spricht.
»Dann park halt auf dem Rasen, was weiß ich – scheiß drauf!«, sagt er und winkt jemandem hinter dir.
Du drehst dich um, und vor dir steht ein burgunderfarbener Kleinbus, der Fahrer hat eine Hand am Lenkrad, mit der anderen hält er sich ein Handy ans Ohr. Er wartet darauf, dass du ihm Platz machst.
Kaum bist du beiseitegesprungen, rollt der Kleinbus auf den leicht ansteigenden Rasen, sein Kotflügel küsst einen Rosenstrauch. Du schaust dich um. Hier gibt
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