Scherben
ich mir ein, eine rosafarbene Jeansjacke sei eine gute Entscheidung. Meine Haare waren lang, ich hatte abgenommen und war zu allem bereit. Genau genommen überfällig. Ich begrub mein altes Ich und warf mein neues in die belagerte Stadt, suchte Blickkontakt, lächelte schüchtern, stellte mich möglichst direkt vor Lichtquellen, damit die Mädchen mein Inneres sahen. Ich riss widerliche, wenn auch geistreiche Witze, die selbst die Ach-so-Anständigen entwaffneten. Ich trug Talent zur Schau, bis es ihnen endlich auffiel, dann schaltete ich auf Bescheidenheit um. Ich tat, was zu tun war, und wartete darauf, dass sie sich aus der Menge löste und mich für immer liebte.
Und so funktioniert Liebe in der Schule: Die Freundin einer Freundin betrinkt sich eines Abends vor dem Theater, kommt zu mir und meinem Freund Omar und sagt, dass Asja in mich verknallt ist, und ich forsche ein bisschen nach, wer diese Asja ist, und bin völlig von den Socken, als ich sie im Gang vor den Klos zum ersten Mal sehe. Es hat mich erwischt. Am nächsten Morgen passe ich sie ab, als sie aus der Schule kommt, so dass ich an ihr vorbei muss und sie sieht, wie toll ich bin, aber als ich ihr gerade ein umwerfendes Lächeln schenken will, fliegt mir ein Insekt, ausgerechnet eine Biene, direkt ins Nasenloch. Ich verrenke mich in meiner rosafarbenen Jacke, ich kreische und schlage mir ins Gesicht und schnäuze mir die Nase und verhalte mich insgesamt wie ein zartes Fräulein in Gegenwart abscheulicher Ungeziefer.
Ihre Schönheit war die Schönheit von zierlichen Märchenschuhen mit Schnallen, von schwarzen Rollkragen und Augen, die einen einsaugen, so wie der Himmel Vögel einsaugt, die zum ersten Mal das Nest verlassen, nur dass es braune Augen waren. Ihre Schönheit war die Schönheit von vollen Lippen, die sich beim Sprechen öffneten; was mit ihnen beim Küssen geschah, konnte ich nur ahnen. Ihre Schönheit war die Schönheit kleiner Hände, verlegen versteckt unter Armen oder in Taschen geschoben oder aus extra langen Ärmeln lugend.
Meine Qual war es, zu wissen, dass sie mich mochte (mochte sie mich wirklich?), und nicht zu wissen, was ich tun sollte. Auf keinen Fall konnte ich einfach zu ihr gehen und ein Hallo murmeln. Einen Monat lang achtete ich peinlich genau auf mein Erscheinungsbild, während ich darauf wartete, dass die Freundin der Freundin, die natürlich längst wieder nüchtern war und so tat, als hätte sie nie etwas zu mir gesagt, den Stein ins Rollen brachte. Ich duschte jeden zweiten Tag, was erstaunlich war, wenn man bedenkt, was »Duschen« im Krieg bedeutet: zerbombte Wasserwerke, nie genug Wasser, unzählige Auflagen, und selbst wenn wir in unserem Stadtteil mal genug Wasser hatten, reichte der Druck nicht für den vierten Stock. Man musste es mit Eimern und Kanistern, Wannen und Bottichen, Krügen und Plastikflaschen aus dem Keller holen, wo man mit schmutzigen, genervten Hausbewohnern anstand und darauf wartete, dass man an die Reihe kam und seine Gefäße füllen durfte, um sie anschließend in drei oder vier Gängen (denn Strom gab es natürlich auch nicht) in die Wohnung zu tragen, Holz vom Balkon zu holen, Feuer zu machen, zu warten, bis der Ofen heiß genug war, einen riesigen Topf Wasser zu erhitzen, ihn zur Badewanne zu schleppen, das heiße mit kaltem Wasser zu mischen, bis es erträglich war und es sich dann schließlich mit einem Kaffeebecher über die Körperteile zu gießen.
Ich litt unter der fixen Idee, ich hätte etwas in den Zähnen, und putzte sie mir zwanghaft, sobald ich in die Nähe einer Zahnbürste kam. In der Schule befingerte ich meine Kleidernähte, um irgendwo einen Faden abzureißen, der lang genug war, dass ich ihn um zwei Finger wickeln und ein besonders hartnäckiges Stück vom Mittagessen, das mir zwischen den Backenzähnen steckte, herauszuholen. Ich kämmte mir die Haare wie ein aufgekratztes Schulmädchen (mindestens dreißig Bürstenstriche auf jeder Seite) und ließ es offen. Ich weigerte mich, meine Brille zu tragen, damit ich nicht wie ein Streber aussah, obwohl ich mich in die erste Reihe setzen musste und selbst dort nichts sah. Ständig beschnüffelte ich meine Achselhöhlen. Ein Teil von mir sehnte sich nach früher, als ich noch dick war und alles egal. Ein kleiner Teil von mir. Der dicke Junge in mir.
Die Freundin der Freundin hatte einen dieser Durchschnittsnamen, die man sich nie merken kann, so wie Jenny in Kalifornien. Sie war eine schelmische Person, spitz in jeder
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