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Scherben

Scherben

Titel: Scherben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ismet Prcic
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Wäschekorb und eine allem Anschein nach leere Vierliterflasche Waschmittel. Ich trat so fest gegen den Korb, wie ich konnte,und sah ihn den Flur entlangpoltern. Aber das befriedigte mich nicht, deshalb trat ich auch gegen die Flasche, die aber voll war, wie sich herausstellte. Ich hörte meinen großen Zeh knacken, aber aufgeputscht vom Adrenalin merkte ich es kaum. Ich zog meine Turnschuhe an, knallte die Haustür zu und ging.
    Als ich zwei Tage später nach Hause humpelte, erkannte mich Eric kaum. Er war sauer, weil ich nicht angerufen hatte, aber das war nicht möglich gewesen. Ich hatte nicht anrufen können, weil ich keine Ahnung gehabt hatte, wo ich war.
    Und wieder Therapie, Melissa hat mich darum gebeten. Oder sollte ich sagen, sie hat mir ein Ultimatum gestellt? Dr. Cyrus besteht darauf, dass ich mit den »Erinnerungen« weitermache, die Reise nach Bosnien hat mich zurückgeworfen. Er besteht darauf, dass ich alles in eine chronologische Reihenfolge bringe, dass ich mir einen Monat nehme und dann überlege, was in dem Monat geschehen ist. Ganz einfach.
    Wir werden sehen.

(… das häuten der schlange …)

    Donju Tuzlu, Donju Tuzlu
    opasala guja.
    Nieder-Tuzla, Nieder-Tuzla
    ist umzingelt von einer Schlange.

    Bosnisches Sevdalinka-Lied
Ende März
    1995 wurde ich achtzehn und hätte eigentlich ein Mann sein sollen. Ich wollte nur noch keiner sein.
    Klar, ich hatte einen Adamsapfel und einen Penis, umgeben von einem Büschel Schamhaare, ich konnte große Brocken Kohle mit einer Axt zerteilen, die Stücke in riesige, schwere Säcke packen, drei von diesen Mistdingern auf einmal auf eine Schubkarre laden, quer durch die vom Krieg zum Erliegen gebrachte Stadt bugsieren und dann einzeln, einen nach dem anderen, auf der Schulter die achtundsechzig Treppenstufen hinauf in den vierten Stock und auf den Balkon tragen. Klar, ich konnte einen Nagel mit zwei oder drei Schlägen gerade in eine Wand schlagen, ich konnte so viel Alkohol kippen, wie man mir hinstellte, und war immer noch ausdauernd und dreist genug, um irgendwas von David Hume zu labern. Und klar, ich konnte bei Männergesprächen mithalten, ich konnte was von Waffen und Muschis erzählen, auch wenn ich beides noch nie aus der Nähegesehen hatte. All das konnte ich, aber nur, weil ich seit meinem sechsten Lebensjahr Schauspieler war und wusste, wie man eine Rolle spielt, eine Illusion aufrechterhält und sich in verschiedene Charaktere hineinversetzt. Ich wusste, dass einem die Leute immer glaubten, wenn die Performance gut ist, und ich war gut. Es machte mir nichts aus, auch im wirklichen Leben zu spielen, solange ich mich nach dem Auftritt in meinem eigenen Kopf verkriechen und weiter Kind sein konnte.
    Ich hatte viele Rollen entwickelt, um die Menschen in meiner Umgebung zufriedenzustellen. Zu Hause benahm ich mich wie ein Arschloch, ein wütender Teenager, dem die Welt etwas schuldig war. Dazu gehörte, dass ich maulte und Türen knallte, mich in alle möglichen Zimmer einschloss, Musik in ohrenbetäubender Lautstärke hörte und meinen Bruder schikanierte. In der Schule machte ich auf cool, gab an mit meinem Humor und meinen angesagten langen Haaren, war beliebt und mit allen dicke. Bei den Proben war ich still und arbeitete hart, ein beharrlicher Künstler mit Eiern aus Stahl, ein Mann, der für seine Kunst lebte. Bei meinem besten Freund Omar und den anderen Rabauken der Stadt war ich eine geheimnisvolle und gequälte Kreatur, düster und immer bereit, jede neue Droge als Erster auszuprobieren. Ein Monster im Moshpit.
    Bei meiner Freundin hatte ich zunächst versucht, ein Mann zu sein, aber die Rolle fiel mir schwer. Es war leichter, ein großes Publikum aufs Glatteis zu führen, als einen einzelnen Menschen. Auf der hochgradig intimen Bühne einer Zweierbeziehung bewährten sich die großen Gesten nicht, die bei einem umfänglicheren Publikum super ankamen. Ich war ein Theaterschauspieler, der bei Nahaufnahmen im Film Probleme hatte. Ich baute immer wieder Mist, aber zum Glück fand Asja meine Versuche, ihr zuliebe ein Mann zu sein, komisch und blieb bei mir. Mit der Zeit merkte ich,dass sie mich am liebsten mochte, wenn ich versehentlich in meine kindliche Persönlichkeit verfiel, und je länger wir zusammen waren, umso wohler fühlte ich mich damit. Folglich war unsere Beziehung unschuldig, aber innig, unsere Treffen im Banja Park waren voller Küsse und Liebkosungen – eine Liebe, die so verträumt war, dass sie einen einlullen, und so

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