Scherben
Eigentum unter einem zerschossenen Cinquecento hervorzuholen, dann verschwand auch er in einem der Hauseingänge.
Zum ersten Mal seit wer weiß wie lange benutzte ich den Fahrstuhl. Als ich die Wohnungstür aufschloss, hörte ich schon den Dampfkochtopf, dazu irgendein scheußliches Turbo-Folk-Stück von der einen und das hirnlose Gequatsche von Macho Man Randy Savage von der anderen Seite der Wohnung. Ich wusste exakt, wo sich die Mitglieder meiner Familie aufhielten und was sie machten. Ich wusste auch, dass ich keine Möglichkeit hatte, ihnen aus dem Weg zu gehen. Das einzige unbesetzte Zimmer war das Schlafzimmer meiner Eltern, und ich hatte nicht das Bedürfnis, mich dort aufzuhalten.
Ich blieb im Flur vor den Garderobenhaken stehen und überlegte, wohin ich wollte. Ich machte zwei Schritte aufs Wohnzimmer zu, in dem mein Vater in seiner Jogginghose im Schaukelstuhl saß und die Fernbedienung hütete, entschied mich dann aber doch für die andere Richtung. Die Tür zu meinem Zimmer stand sperrangelweit offen und ich sah meinen Bruder mit den Ellbogen voran von einem Stuhl auf ein Sofakissen springen, das auf dem Boden lag. Durch die Lautsprecher jubelte Publikum. Ich holte tief Luft und wollte hineingehen, doch mein Blick blieb an dem Aufkleberhängen, der an der Tür klebte, ein gelb-rotes Dreieck mit der Silhouette eines Mannes, der von einem gezackten Stromblitz getroffen wird, und der Aufschrift Hochspannung . Ich atmete aus.
Der Parkettboden knarrte unter meinem rechten Fuß; ich hob ihn an. Ich stand einbeinig da und starrte auf den Aufkleber. Ich stand und stand, ich atmete ein und aus, bis hinter mir die Küchentür aufging und ich hörte, wie meine Mutter im Türrahmen verharrte.
»Du bist zu Hause.«
Ich setzte meinen rechten Fuß ab. Das Parkett quietschte fast unmerklich.
»Was machst du da?«
Ich drehte mich zu ihr um. Mutter war bis zu den Ellbogen mit Mehl bedeckt. Ihr ergrauendes Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden.
Ich ging zu ihr, sagte hallo und küsste sie auf die Wange. Sie sah mich von der Seite an.
»Was ist denn mit dir los?«
»Was?«
»Hör zu, ich glaube, ihr schafft es nach Schottland.«
Eines der Rechtecke im Parkett hatte ein dunkles Astloch, ich ließ es unter meiner weißen Socke verschwinden und wieder auftauchen, verschwinden und wieder auftauchen. Eine Träne trat aus meinem Auge und klatschte zwei Zentimeter neben dem Astloch auf den Boden. Ich drückte meinen großen Zeh drauf. Als ich meinen Fuß hob, war sie weg.
»Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll.« Meine Stimme war weinerlich, blöd.
Mutter trat zu mir und umarmte mich, so gut es ging, hielt ihre mehligen Arme auf Abstand zu meinem nutzlosen T-Shirt.
»Komm, wir reden.«
»Paß auf«, sagte mein Vater von der anderen Seite des Wohnzimmertisches, »ich hab heute mit Branka gesprochen, und sie meint, ihr fahrt auf jeden Fall.«
Im Fernsehen war eine blonde Frau, die den Mund vor einem Mikrofon aufmachte und schloss und dabei total bescheuert hin und her schaukelte. Der Ton war aus.
» Uns hat sie das nicht gesagt«, sagte ich.
»Ich weiß«, sagte er und nickte herablassend. Er konnte es sich nicht verkneifen, wichtig sein zu wollen. Ich hasste das. »Wir würden gerne wissen, was du für Pläne hast.«
Ich sah meine Mutter an, die im Sessel saß und rauchte. Sie hielt meinem Blick stand, sagte aber nichts.
»Was für Pläne? Wenn Lendo meinen Pass unterschreibt, fahre ich mit den anderen nach Schottland.«
»Und dann?«
»Wie meinst du das, und dann?«
»Er hat mit Ramonas Vater gesprochen«, sagte meine Mutter durch ihre persönliche Dunstglocke hindurch.
»Ramona wird nach eurer Tour in London bleiben«, sagte mein Vater.
Das war mir nicht neu. Ramona hatte eine ältere Schwester in London, und die ganze Truppe wusste, dass sie vorhatte, dort zu bleiben. Wir hatten geschworen, niemandem was davon zu verraten.
»Ich hoffe, du hast es nicht Branka erzählt«, sagte ich. Die Sängerin im Fernsehen hörte auf zu schaukeln und verneigte sich vor uns.
»Ich nicht. Aber ihr Vater.«
Ich sah ihn an.
»Er hat mit Branka gesprochen und alles vereinbart. Branka ist einverstanden, sie wird Ramona gehen lassen. Das ist besser, als wenn sie abhauen muss.«
»Musste er das bezahlen?«
»Mach dir darüber keine Gedanken.«
»Und was hat das mit mir zu tun?«
»Ich könnte so was auch für dich arrangieren.«
»Wenn du das möchtest«, setzte meine Mutter hinzu.
»Ich soll mit Ramona
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