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Scherben

Scherben

Titel: Scherben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ismet Prcic
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einen Schluck von einem tödlichen alkoholischen Getränk aus einem Flachmann, irgendwas schreckliches Selbstgebranntes.
    Ungefähr um drei Uhr morgens halluzinierte Mustafa, ein bärtiger Mann sei in den Graben gesprungen. Als er die Augen schloss und wieder öffnete, stand der Mann aber immer noch da, bleich wie Kalkstein, zitternd. Sein Blick war betrübt, er hielt sein Gewehr am Lauf und schnüffelte in die kalte Luft. Mustafa wusste nicht, was er von ihm halten sollte, also starrte er ihn einfach entgeistert an.
    »Ich bin hier, um mich zu ergeben«, sagte der Mann. Der Satz blieb in der Luft hängen. Langsam sprang Mustafas Gehirn an.
    »Bist du ein Tschetnik?«, fragte er, ohne sich zu rühren.
    »Ja«, sagte der Mann.
    Mustafa sprang auf die Füße, entsicherte mit nervösen Fingern. Sein Blutdruck fiel ab und eine Sekunde lang konnte er nichts sehen, verlor fast das Bewusstsein. Als die Welt wieder ins Bild rückte, stützte ihn der Mann, half ihm.
    »Ich bin hier, um mich zu ergeben.«
    Mustafa schüttelte ihn ab und erlangte alleine das Gleichgewicht. Er richtete das Gewehr auf den Mann und stand einfach nur da, wusste nicht, was er machen sollte. Sein Herz schlug schnell, es hämmerte in scheinbar jedem Teil seines Körpers.
    »Wo soll ich hin?«, fragte der Mann, immer noch zitternd. Mustafa wusste es nicht, also dirigierte er ihn mit vorgehaltener Waffe zu Refa und den anderen beiden. Refa war sturzbetrunken. Die anderen waren kurz davor. Sie merkten nicht einmal, dass Mustafa sich mit jemandem näherte.
    »Refa«, rief Mustafa und schluckte. Er hatte kaum eine Stimme.
    »Was ist los, Neuer?«
    »Hier.«
    Refa drehte sich um und sah den Mann. Ringsum benommenes Schweigen.
    »Wer ist das?«, fragte er und hielt sein Blatt vor die Brust, verbarg die Karten.
    »Ein Tschetnik«, sagte Mustafa.
    »Wo hast du den her?«
    »Sprang einfach rein.«
    »Ich will mich ergeben«, sagte der Mann. Refa sah ihn an, als sei er nicht bei Trost.
    »Wie heißt du?«
    »Nebojša.«
    »Nebojša, und weiter?«
    »Nebojša Banjac.«
    »Wie bist du hergekommen, Nebojša?«
    »Ich bin gekrochen.«
    »Durch das Minenfeld?«
    Nebojšas Augen wurden groß und glasig. Er hatte keine Ahnung gehabt. Refa fing an zu lachen und drehte sich wieder um zu den anderen beiden Soldaten und ihrem Kartenspiel. Sie lachten, schüttelten die Köpfe und spielten weiter, als sei nichts geschehen, als stünde kein feindlicher Kämpfer in ihrem Schützengraben, zitternd und mit der Hand am Lauf seines Gewehrs. Mustafa bekämpfte den Impuls, sich zu übergeben. Sein Herz schlug im Kreis.
    »Und was jetzt?«, brachte er hervor.
    »Bring ihn runter zum Kommandoposten«, sagte Refa, ohne sich umzudrehen. Bei der Aussicht, das tun zu müssen, konnte Mustafa nicht mehr an sich halten und spuckte eine blasse, ätzende Flüssigkeit.
    »Der Mann ist krank«, sagte Nebojša. »Er ist in keinem Zustand, irgendwas zu tun.«
    »Bist du Arzt oder was?«, fragte einer der Spieler mit spöttischem Grinsen.
    »Ja, bin ich.«
    Refa legte seine Karten umgekehrt auf die Truhe und stand auf. Er torkelte zu Mustafa und sah aus wie jemand, der sein Computerspiel unterbrechen musste, um den Müll runterzutragen.
    »Hey, Neuer, willst du noch eine Aspirin?«
    Mustafa setzte eine weitere Ladung Kotze in den Matsch. Refa seufzte, griff Nebojša am Stoff seiner Uniform an der Schulter, zog ihn zu dem Graben, der den Hügel hinabführte, und deutete in die Nacht.
    »Pass auf, Dr. Banjac. Du machst Folgendes. Siehst du das große Haus, das ein bisschen aussieht wie ein Totenkopf? Das weiße? Das ist der Kommandoposten.Da gehst du hin, suchst den diensthabenden Offizier und sagst ihm, dass dich Refa schickt und du dich ergeben willst. Verstanden?«
    Nebojša schluckte heftig. Das letzte bisschen Farbe war aus seinem Gesicht gewichen.
    »Alleine?«
    »Keine Angst. Wird schon gutgehen.«
    »Ich werde erschossen.«
    »Du wirst nicht erschossen. Sag einfach, Refa schickt dich.«
    Er gab ihm einen kleinen Schubs. Nebojša machte einen zaghaften Schritt und blieb wieder stehen.
    »Was soll ich mit meinem Gewehr machen?«
    »Nimm’s mit. Was soll ich damit?«
    »Aber die werden mich töten, wenn sie mich mit einem Gewehr sehen.«
    Tränen strömten über Nebojšas Gesicht. Er versuchte sie zurückzuhalten, aber es gelang ihm nicht. Rotze trat ihm aus dem rechten Nasenloch, und er zog sie wieder hoch.
    »Die werden dich nicht umbringen. Glaub mir. Sag einfach, Refa schickt

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