Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Scherben

Scherben

Titel: Scherben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ismet Prcic
Vom Netzwerk:
helfen, mit der Lehrerin zu sprechen. Ramona stand auf und die beiden überwanden die Sprachbarriere. Genau in dem Moment durchquerte noch jemand den Kreis und kam auf mich und Boro zu, kniete sich hin und sagte hallo. Mir blieb nichts anderes zu tun, als aufzublicken und Allison zu begegnen.
    Allison hatte die Hände einer erwachsenen Frau, und als ich ihre Hand nahm, teilte sich etwas zwischen uns mit. Allisons Haut war glatt und kalt. Sie trug eine Armbanduhr. Ihre Hose war schwarz, an ihre Bluse erinnere ich mich nicht. Ich konnte meinen Blick nicht mehr von ihren Augen lösen, ein bisschen braun und ein bisschen grün und ein bisschen traurig, trotz des Lächelns. Ein bisschen bekümmert.
    »Entschuldigung, aber kannst du mir noch mal deinen Namen sagen, bitte?«
    »Ismet.«
    »Izz-mätt.«
    Boro kicherte.
    »Ssss«, sagte ich. »Scharfes S. Izmet mit Zett heißt in meinem Land, äh … Scheiße von Kuh.«
    Alle Schotten lachten.
    »Warum haben dir deine Eltern das angetan?«, fragte sie.
    Zwei weitere Schotten kamen rübergekrabbelt und stellten sich vor, ich schüttelte ihre Hände, aber fast ununterbrochen hielt ich den Blickkontakt zu Allison. Sie kicherten über uns,machten ein paar anzügliche Geräusche und erwähnten immer wieder jemanden namens William.
    Während der folgenden zwei Stunden übernahm Asmir die Kontrolle über das Leben der Anwesenden. Die arme schottische Theaterlehrerin hatte keine Chance. Asmir sammelte ihre Unterlagen ein und warf sie irgendwo auf einen Stuhl in der Ecke, dann zog er sein Hemd aus und legte sich in die Mitte des Kreises. Er hätte ebensogut eine Waffe ziehen können; alle erstarrten, warteten.
    »Wir machen Entspannung, Nummer eins«, sagte er, »Nummer zwei, wir machen Spiel von Theater, dann wir machen Theater.«
    Branka und die Lehrerin zogen sich in je eine Ecke zurück, setzten sich und sahen mit zusammengepressten Lippen zu. Asmir führte uns durch eine Meditationsübung. Ich staunte, wie nahtlos sich Allison und ihre Freunde unter Asmirs Leitung in unsere Truppe einfügten. Zunächst lachten sie über seine Anweisungen auf Tarzan-Englisch, und jetzt Augen schließen und denken an Bauch von Mutter und stellen vor Energie von Leben kommen wie Kugeln aus Augen , doch schon bald hatten sie sich daran gewöhnt und machten wie selbstverständlich mit.
    Wir begannen mit Aufwärmübungen, Stimmübungen, dann Vertrauensübungen, unter anderem die, wo sich einer mit vor der Brust verschränkten Armen ganz steif macht und zwei andere ihn hin- und herschubsen wie ein Metronom. Der blonde Junge im Riddler-T-Shirt und ich machten das mit Allison. Jedes Mal, wenn ihre Schultern meine Hände berührten, lächelte sie. Sie hatte die Augen geschlossen, und ich sah ihr auf die Brust. Ich konnte ihre BH-Träger durch ihre Bluse an meinen Daumen spüren und wollte nie mehr damit aufhören.
    Nach der Probe ging Asmir zur Theaterlehrerin, um ihr zu erklären, wie er sich unsere Beteiligung an ihrer Aufführung vorstellte:
    »Schottische Schauspieler machen Text. Wir tanzen. Ja? Wir tun, als wären wir der Krieg. Wir stehen zusammen wie Bombe, dann singen wie Bombe und tanzen wie Bombe über Bühne, von ein Ende zu andere, und wenn Bombe fallen zwischen Menschen, ihr, wir werden … geler, kako se kaže geler, jebem mu mater … wir werden Stücke, kleine Stücke von Bombe, wir alle und tanzen wie kleine Stücke von Bombe, töten. Ja?«
    Die Theaterlehrerin stand einfach nur da, völlig verdattert.
    Allison zwinkerte mir während der Aufwärmübungen am folgenden Tag zweimal zu. Nach der Probe sagte sie, ihr Vater habe ihr erlaubt, am Abend eine Party für uns alle zu geben, und ich müsse kommen. Sie beschrieb mir den Weg und küsste mich auf die Wange. Es fühlte sich auf meiner Haut an wie ein Sonnenbrand, in meinem Kopf wie ein Schluck Brandy. Dann ging sie, und als sie verschwunden war, merkte ich, dass alle mich anstarrten.
    »Schönes Ding, Ismet!«, sagte Bokal und klopfte mir auf die Schulter. »Hast keine Zeit verschwendet, was?«
    »Sie hat übrigens einen Freund«, sagte der Riddler-Junge, der das Schulterklopfen richtig gedeutet hatte.
    »Ich habe eine Freundin«, sagte ich.
    »Schon klar«, erwiderte er.
    Den ganzen Tag lang erinnerten mich ihre Freunde (die »Moralpolizei«, wie Allison sie später nannte) daran, dass sie einen Freund hatte, obwohl wir nicht mehr gemacht hatten, als in der Gegenwart des anderen zu erröten und viel zu lächeln. Und uns einmal zu

Weitere Kostenlose Bücher