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Scherben

Scherben

Titel: Scherben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ismet Prcic
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sagte, es sei die Bedingung für die Genehmigung der Einreise gewesen, und Asmir fragte, warum er es dann erst jetzt erfahre. Sie sagte, »wir« könnten es auch ohne ihn machen, es sei ihr ohnehin egal, was er mache. Und wer führt dann Regie, fragte er – du etwa? Er lachte. Es wird eine Gemeinschaftsproduktion, sagte sie. Ein Haufen Scheiße wird das, sagte er. Was interessiert es dich überhaupt, fragte sie. Und er: Was es mich interessiert, welches Stück meine Truppe aufführt? Hast du sie nicht mehr alle? Sie sagte, warum überlassen wir es ihnen nicht selbst. Asmir wandte sich an uns und sagte, wir müssten weder zu dem Treffen kommen noch mit den schottischen Jugendlichen auftreten. Branka sagte, wir sollten es machen, weil wir es versprochen hatten. Du hast es in unserem Namen versprochen, sagte Asmir. Ich habe getan, was ich tun musste, damit wir herkommen konnten, sagte sie. Genau wie ich, sagte er.
    Lucy bot an, Branka und die Kleinen in ihre Unterkunft zu bringen, und Boro machte einen Aufstand. Er sagte, er wolle nicht bei seiner Mutter und den Kleinen übernachten, und Branka gab als aufgeklärte, moderne Mutter nach und überließ ihn der Fürsorge seines großen Bruders Omar.
    Wir alte Hasen machten uns gemeinsam mit den Musikern auf den Weg.
    »Hier entlang«, sagte Asmir.
    Die Nacht legte sich auf Edinburgh wie eine Decke, die man über einen Vogelkäfig zieht. Dunst kroch in die Luft und ließ das Licht an seinen Quellen klar, an den Rändern verschwommen strahlen. Es wurde so kalt, dass man Gänsehaut bekam. Geister wirbelten um die Straßenlaternen und verfingen sich in unseren Haaren. Gebäude atmeten schwer. Die Straßen ächzten unter unseren Füßen. Man spürte, wie alt alles war, trotz des Neons, der Autos und der Technomusik, die aus den Kellerbars wummerte.
    Überall waren Menschen unterwegs, sie liefen und lachten, und mir wurde schwindlig. Wir gingen an einer Gruppe Touristen vorbei, und ich war mir sicher, Asja gesehen zuhaben. Dann erkannte ich sie auf der anderen Straßenseite, aber sie war es nicht. Angst überkam mich, Panik. Ich zwang mich, meine Füße anzusehen, stellte mir die alberne Aufgabe, auf jedes schmutzige alte Kaugummi auf dem Bürgersteig zu treten. Die Monotonie der Tätigkeit beruhigte mich, doch als ich aufblickte, war ich weit hinter der Gruppe zurückgeblieben.
    Ich rief Asmirs Namen, und sie blieben bei ein paar Straßenkünstlern stehen, bis ich sie eingeholt hatte. Ein Mann mit einem roten Schnurrbart in einem hautengen Anzug jonglierte mit Kettensägen. Ich lehnte mich
    WUMM!
    »Angriff!«, schrie Omar.
    Plötzlich lag ich unter einem parkenden Bus, die Hände über dem Kopf, und dachte an die Granate, die Archibald verscheucht hatte, ich zählte bis drei, die Anzahl von Sekunden bis zum Einschlag.
    Eins:
    In meinem Kopf das Bild eines abgetrenntes Fußes auf dem Bürgersteig, Popcorn auf der
    Zwei:
    Straße, Blut auf meinen Reeboks, ein Auto auf einem anderen Auto, zwei Schildkröten, schwelende
    Drei:
    Hitze, gleich muss es kommen, das Pfeifen oder WUMM!, mein Herz wie ein Pager auf Vibrationsalarm.
    Drei:
    Warten, dass es passiert.
    Drei:
    Warten auf WUMM!
    Doch es kam nicht. Nur weit entfernt gab es noch eine Explosion. Und noch eine. Diese Granaten sind defekt. Dann das Prasseln einer Reihe kleinerer, blecherner Explosionen, aber nicht wie das Feuer einer Kalaschnikow, sondern musikalischer, in verschiedenen Höhen. Was sind das für Gewehre? Singende Gewehre?
    Ich öffnete die Augen und sah auf dem Bordstein einen perfekten runden Kaugummifleck. Wir sind in Edinburgh. Ich blickte auf. Der Typ mit dem roten Schnurrbart wirbelte immer noch seine Kettensägen in die Luft, als wäre nichts gewesen. Ein paar Leute aus dem Publikum starrten mich an, und Ramona, die zusammengekrümmt auf dem Bürgersteig lag, und Omar und Boro, die an der Wand kauerten. Der Gedanke ließ sich von ihren Gesichtern ablesen: Sind das Verrückte oder ist das improvisiertes Straßentheater?
    Dann sah ich, dass Asmir und unsere Musiker uns auslachten.
    »Was ist los, ihr Bauern? Habt ihr noch nie Feuerwerk gesehen?«
    Ich kroch unter dem Bus hervor. Ein eng umschlungenes Pärchen machte einen weiten Bogen um mich herum. Ich klopfte mir den Schmutz von den Klamotten und suchte meine Tasche.
    Nein, bis zu diesem Tag hatte ich noch nie Feuerwerk gesehen. Ramona und Omar ebenso wenig, und Boro gleich gar nicht. Asmir und die Musiker waren älter. Ihre Körper, ihre Hirne erinnerten

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