Scherbengericht: Roman (German Edition)
mir.‹ « Und sie trällerte versonnen die Melodie aus der Rose von Stambul . Der Umworbene fuhr sich mehrmals mit dem Zeigefinger unter dem Rollkragen um den Hals.
Da war auch Rotraud mit ihrem gewagten Balanceakt bei der table d’honneur angekommen. Die Gäste applaudierten dem gelungenen Auftritt und dem ungewöhnlichen Guglhupf. »Prächtiges Algengrün!«, feierte Katha den Anblick. »Eher schon aalgrün«, kommentierte Elias mit abwehrendem Händefächeln – betont dem angekündigten Fleischgenuss entgegenlechzend.
»Ob der koscher ist«, nuschelte Clementine so leise ihrem Sigi über die Tischplatte zu, dass der Greis nur verständnislos das süffisante Mienenspiel seiner Freundin zu enträtseln versuchte.
Martin kehrte vom Grillplatz zurück und begrüßte Gretls Verwandte. Die Tante wies ihn darauf hin, dass ihr Benny einem »hochkarätigen« internationalen Entwicklungsprojekt auf dem Gebiet der Zahntechnik vorstehe, »eine internationale Aufgabe, wie deine Projekte«. Und mit Sarah könne sich Martin auf Englisch unterhalten. »Ich habe angenommen, in Israel spricht man auch deutsch«, wiederholte Clementine eine Bemerkung vom Vortag.
»Benny ist wie du, Martin, im internationalen Wissenschaftsbetrieb tätig«, unterstrich Gretl nochmals die Vorstellung, um von Clementines Worten abzulenken. Der Zahntechnologe im weißen T-Shirt, auf dessen Brust die weit herausgestreckte rote Zunge Mick Jaggers prangte, sah sich genötigt, da alle aufgehorcht hatten, nun etwas mehr von seinem Projekt zu verraten. Ja, tatsächlich, es handele sich um ein joint venturezwischen drei Forschungslabors in Jerusalem, Wien und Buenos Aires, und es werde vom Europäischen Fonds für die Entwicklung der Nanotechnologien finanziert.
»Jetzt, my dear Tante, hast du mich aber in die Lage gebracht, dass ich den neuen Gästen von der Sache wohl a tiny little bit erklären muss.« Und er ahmte im Spaß den Tonfall eines Jahrmarktschreiers nach: »Meine hochverehrten Damen und Herren, vor allem die nicht mehr ganz jungen unter Ihnen, bitte vernehmen Sie die sensationelle Heilsbotschaft: Intelligent Teeth, das intelligente Gebiss, der erste nanotechnologische Markstein des einundzwanzigsten Jahrhunderts, ist auf dem Wege der Verwirklichung. Sobald der Fachmann Ihrer Wahl die Intelligent Teeth, abgekürzt IT – phonetisch ai ti – bei Ihnen eingebaut hat, wird bei Ihrem herzhaften Zubiss geprüft und geholfen, ein Risiko für Ihre Gesundheit zu vermeiden!«
»Per bacco – bevor es so weit kommt, lasst uns noch schnell zu Wein und Vorspeisen greifen!«, rief Onkel Elias, schenkte allen nach, die ihm sogleich ihr Glas hingehalten hatten, und bediente sich ausgiebig aus den drei farbenprächtigen Antipasti-Platten.
»Hast du Worte?«, mokierte sich Clementine über den Vortragsstil des Zahntechnikers und stieß Katha mit süffisanter Miene in die Rippen. »Aber Oma, das klingt doch echt super für euch Alte. Da könnt ihr noch älter werden!«, gab diese zurück.
»Zunächst aber muss ich gestehen, dass ich aus reiner serendipity und aus banalstem Anlass auf die Augen öffnenden Erkenntnisse gestoßen bin, die das alles erst möglich machten«, fuhr Benny Krohn verschwörerisch grinsend fort. »Vor neun Jahren nämlich sind Sarah und ich zufällig auf einem der Highways zum JFK -Airport in einem Verkehrschaos stecken geblieben.«
»Im Chaos ist kein Zufall möglich«, warf Onkel Elias dazwischen. »Chaos ist der totale Zufall!«
Mitten in dieser Unterbrechung trat – oder vielmehr wankte mit drehenden Bewegungen auf eine Krücke gestützt – Treugott heran, der auf einer Holzplatte die ersten Fleischhäppchen brachte. »Immer nur in kleinen Portionen verzehren«, riet er, »denn wenn das Fleisch auf dem Teller kalt wird, ist es nicht mehr schmackhaft.«
»Um Gottes willen, Trigo, setz dich!«, riet Rotraud ihrem Mann, nahm ihm das Brett ab und begann selbst mit dem Austeilen. Treugott ließ sich ächzend am anderen Ende der Tafel auf den Stuhl fallen. Als er sein Glas mit Wein gefüllt hatte, waren auch alle anderen schon wieder bereit und tranken einstimmig dem Meister des asado zu; die Krohns allerdings mit Apfelsaft. Nur Gretl, die Seite an Seite mit Rohr wie unter einer Last gekrümmt dasaß, fiel es sichtlich schwer, ihr Glas vom Tisch zu heben und mit den anderen in das erwartungsfrohe Lob einzustimmen.
»Mein lieber Treugott, er ist nicht nur ein begnadeter Praktiker, sondern nach meinem bescheidenen Dafürhalten
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