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Scherbengericht: Roman (German Edition)

Scherbengericht: Roman (German Edition)

Titel: Scherbengericht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germán Kratochwil
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abgeräumt: »Gott sei Dank, mit denen wären wir dreizehn gewesen! Die Unglückszahl.« Die Tischmitte nahmen zwei große Glasschüsseln ein, gefüllt mit Rotrauds traditionellem Kipflerkartoffelsalat; eine davon war das Gefäß aus prachtvoll geschliffenem böhmischem Bleikristall, dieses unter Lebensgefahr gerettete Erbstück der Vertriebenenfamilie Kretschmer aus Neutitschein. Das kunstvoll gearbeitete Glas zauberte irisierende Lichtreflexe auf die Kipflerkartoffeln und das Tischtuch. Eine Terrakottaschüssel mit einem weiteren Salat aus Rotrauds Autorenküche – Brunnenkresse, filetierte Radieschen, wilde Löwenzahnblätter und gehackte Walnüsse – ergänzte die Beilagen. Über den Tisch verteilt standen Karaffen mit Rotwein, Krüge voll Wasser und Apfelsaft sowie Schälchen mit der würzigen Barbecue-Sauce chimi-churri, die Treugott auf patagonische Art aus gehackten Zwiebeln, zerquetschtem Knoblauch, Paprika, frischem Majoran, Rosmarin, Thymian, Lavendel, Salzlauge und Olivenöl zubereitet hatte. Drei Antipasti-Platten – eine Auswahl gegrillter Auberginen und Zucchini, in Weißwein aufgequollene Trockentomaten mit gehacktem Knoblauch, und gegrillte Paprikaschoten – stellte Rotraud jetzt noch dazu. Dazwischen hatten Mirta und Delia Körbchen mit dem selbst gebackenen Weizenbrot des Tilo-Hofes, dazu Salzstreuer und eine Pfeffermühle platziert.
    Dr. Elias Königsberg hob eine der Karaffen und füllte Clementines Glas. Ob Katha …? O ja, sie wollte durchaus, also schenkte er auch ihr und Martin ein. Rotraud winkte ab: »Später, ihr Lieben.«
    »Und unser schöner Sigismund?«, fragte Elias.
    Rohr zog mit übertriebener Besorgnis die Brauen zusammen. Er hatte eben noch den Hund am Stuhlbein festgebunden und bog seinen Oberkörper allmählich wieder hoch. »Sollen wir einmal im Jahr sündigen, Lumpi?«, fragte er hinunter, und das war natürlich sein Ja. Alle sechs tranken einander schon einmal aufs neue Jahr und auf dieses festliche Wiedersehen zu, Rotraud mit einem Glas Wasser.
    »Na, dann haben sie dich also doch endlich aus der Klapsmühle herausgelassen, mein Kind?«, wandte Clementine sich wieder an Katha.
    »Ja, Oma.« Die Enkelin fiel der sogleich erstarrenden Greisin um den Hals. »Stell dir vor, ich habe es sogar schon geträumt: Ich bin geheilt, ich bin gesund – wir sind beide gesund, Papa und ich!«
    »Und was war dann das für ein Palaver mit Walfischen, mit der Prinzessin, und hinterher dieses Theater bei den Indianern?«
    »Ach, das muss ich dir ja alles noch genau erzählen!«, rief Katha begeistert und begann ihre Geschichte sogleich mit dem Silvesterfrühstück bei den Gehörfolterern in Puerto Pirámides. Während Katha lebhaft auf sie einredete, war Clementines Mimik ganz dem ihr gegenübersitzenden Siegmund zugewandt; ihre im Wechselspiel flatternden Augenlider und das höchste Erstaunen ihrer Stirnfalten signalisierten dem alten Freund, wie hoffnungslos durchgedreht ihr der Redefluss der Enkelin vorkam. Dass ihrem Sohn Martin diese Komplizenschaft auf Kosten seiner Tochter kaum entgehen konnte, war der Jubilarin offenbar egal.
    Er stand auf, warf einen ärgerlichen Blick auf Mama, ergriff das Weinglas und ging mit einem zweiten – für Treugott – zum Grillplatz hinüber. Die Pranke des Hausherrn war heiß, sein Gesicht schweißnass. Beide mussten sich von der Glut entfernen, um ins Gespräch zu kommen.
    »Boris Jelzin ist zurückgetreten«, verkündete Treugott. »Ich habe es vorhin in Radio Habana gehört.«
    Damit wusste Martin nicht viel anzufangen. Er fragte lieber nach dem Lamm, und der Hausherr erklärte ihm wieder einmal sein Handwerk.
    »Nussbaum und Eiche, Herr Doktor« seien die Hauptsache. Man dürfe niemals mit Nadelholz grillen; dessen Rauch enthalte zu viel Teer und bestimme damit den Geschmack. Ein Lamm, das man vier Stunden solch einer Glut aussetze, sei dann von irgendwelchem ordinären Selchfleisch nicht mehr zu unterscheiden. Außerdem – man müsse den Rumpf von innen nach außen braten. Die Hitze müsse wie bei einem lebenden Körper von innen nach außen dringen. Das lasse sich nur durchführen, wenn man zuerst, und die längste Zeit, die aufgeschnittene Innenseite des Tieres der Glut zuwende. Dann nehme die Hitze ihren naturgegebenen Weg.
    »Lieber Treugott, du sprichst ja wie der Chefideologe der argentinischen Asado-Doktrin«, versetzte Martin beeindruckt. Lächelnd fügte er hinzu: »Verbunden natürlich mit dem heiligen Ernst eines Südtiroler

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