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Scherbengericht: Roman (German Edition)

Scherbengericht: Roman (German Edition)

Titel: Scherbengericht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germán Kratochwil
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das pausenlose Fotografieren und Filmen von watschelnden Pinguinen, sich aalenden Robben, brüllenden oder nur maulaufreißenden Seelöwen und -elefanten. Wenn sie Glück hatten, paarten sich einige vor ihren Kameras. Viele trugen die gleichen Mützen und T-Shirts wie Katha. Damit wollten sie sie wohl täuschen und in Sicherheit wiegen. Durch die großen Fenster zum Meer hin sah sie die Sonne schon eine Handbreit über dem Horizont stehen. Das Klappern und Klirren der Frühstückenden drang auf sie ein, es wurde immer feindseliger, hatte keinen Rhythmus. Wer Geräusche erzeugt, hat sich um Rhythmus zu bemühen – ohne Rhythmus wird es zu einer Gehörquälerei. Hier haben sich Teilnehmer des Internationalen Gehörfolterkongresses zum Frühstück eingefunden, Sektion Antirhythmisches Lärmen. Um Himmels willen, weiß der Kellner denn nicht, dass hinter diesen bedächtig Müsli löffelnden, Toast beschmierenden, Eier köpfenden, Milchkaffee schlürfenden, biederen Leuten nichts als ausgepichte Folterexperten stecken? Katha stürzte ins Freie.
    Kräftiger Wind überraschte sie, und zugleich sprang ihr das tiefe Blau der Wasserfläche in die Augen – ein hartes Blau, das sich selbst, wie ihr vorkam, in seiner Härte nicht ertragen konnte¸ das sich in ein weicheres Grün drängen wollte. Nur sie, Katha, vermochte das heftige Sehnen des Ozeans nach einem molligen Grün im weiten Meeresbusen mitzufühlen; ein unerfüllter Drang war in diesem harten Blau. Das konnte nur sie sehen, nur sie konnte die Qual des blauen Riesengeschöpfs mitempfinden, das da draußen, in seinem Marineblau eingeschlossen, ausharren musste, statt im satten Moosgrün aufgehen zu können. Da half die Sonne nichts, die hatte sich ja schon herausgedreht und abgehoben, die rollte frei und hoch, warf mit ihrem Licht umher, stach nur noch spitze Strahlen in die bewegten Gewässer. Mit festem Blick näherte sich Katha der Brandung. Vor ihr verschlangen schäumende Mäuler fette Algen. Angebissene, saftig glänzende Büschel schwappten bis an ihre Fußspitzen heran. Möwen strichen höhnisch kreischend über ihren Kopf hinweg und dann erreichte ihr Ohr, ganz deutlich, ein fernes Stöhnen von weiter draußen – stöhnte das Meer? Aber es war ein erwartungsfreudiges Stöhnen, wie das einer Gebärenden. Wie riesig schwanger musste diese sich hinter den mahlenden Mäulern, die das Algengrün fraßen, herumwälzen. Im Lauschen versunken, nahm sie die Gestalt, die in ihrem Rücken über den Sand auf sie zukam, erst wahr, als diese schon neben ihr stand und sie ansprach. »Guten Morgen! Fräulein Katharina Holberg?«
    Sie wusste, sie hatte eben jetzt auf diese Anrede gewartet. Denn hier stand sie doch, als eine einzelne, weithin sichtbare, in Weiß gekleidete wartende Gestalt am Rand des Golfo Nuevo. Die Sonne hat mein Haar entflammt, ein kräftiger und würziger Wind streicht über die Gischt und weht es mir aus dem Gesicht, ich werde mich langsam – langsam! – der männlichen Stimme zuwenden, werde ihr meine Symbole auf Brust und Kappe offenbaren. Ich weiß, diese Stimme gehört einem jungen Mann, der die gleiche Walschutzmütze trägt, dem jungen Mann, der sich im Internet und wohl auch hier Roberto Williams nennt, der mit den Walen kommunizieren kann, der mich aber zunächst in einem verdächtig althöflichen Argentinisch anspricht.
    Der Typ war kleiner als sie, dicklich, und sein sonnengebräuntes Gesicht von blondem Flaum umkränzt; zum Bart reichte es offenbar nicht. Die Augen verbarg eine goldgerahmte Ray-Ban-Sonnenbrille. Was ihn als eine Art explorer auszeichnete, war sein speckiges, ärmelloses Wams aus Wasserschweinsleder, mit rätselhaft vielen aufgenähten Taschen unterschiedlicher Größe, alle zum Bersten gefüllt mit irgendwelchen Gegenständen, groß und klein. Vor der Brust, über dem vielfach ausgebeulten Leder, baumelten außerdem noch mehrere Instrumente, von denen sie nur eines kannte, den Feldstecher.
    »Ich bin Roberto Williams.« Er hielt ihr die Hand hin, sie aber beugte sich zu ihm vor und berührte seine flaumige Wange mit ihren Lippen. Die Sonnenbrille macht es ihm wohl möglich, ungeniert den üblichen Dreierblick der Männer (Gesicht/Busen/Schoß) auf sie abzufeuern. Vermutlich hat er helle graublaue Augen. Alle Fremdenführer sind geil, meist mit Erfolg.
    Von der Terrasse des Motels sah sie den Vater winken. Auch er war für die Exkursion gerüstet: in Jeans und mit der passend gekennzeichneten Baseballkappe. Sie gingen auf

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