Scherbenhaufen
einem Kleinbus im Hotel am Patong-Beach in Phuket angekommen. Es lag in idealer Strandlage. Die Versprechungen des Ferienprospekts schienen eingelöst. Ich deponierte den Koffer in meinem Zimmer und hinterlegte, ganz der vorsichtige Schweizer Tourist, umgehend die Wertsachen im Save an der Rezeption. Danach packte ich Badetuch und Badehose ein und erkundete die Umgebung. Gegen halb neun Uhr mietete ich einen Strandstuhl und bestellte Kaffee.
Ich genoss meinen Cappuccino und löffelte den Milchschaum ab. Der weiße Schaumstreifen der fernen Wellen war in der Ferne nur knapp zu erkennen. Eine halbe Stunde später begann das Meer zurückzukehren. Ich hielt das Phänomen für das Wechselspiel von Ebbe und Flut. Gelassen beobachtete ich die herannahenden Wassermassen, bis mich besagter Thai aus der Lethargie riss.
»Go, go, go!«
Die Welle näherte sich unerwartet rasch. Sie gewann an Höhe und überrollte ungebremst die ersten Meter des bevölkerten Strandes. Jetzt erst packte auch ich Badetuch und Tasche und spurtete los. Viel zu spät.
Die Flut erfasste mich noch auf der Flucht, entriss mir die Bodenhaftung und schleuderte mich wie in einer Waschtrommel hin und her. Im Wirbel der salzigen Massen verlor ich all meine Utensilien und die Orientierung. Mit Wucht wurde ich in eine Bungalowanlage geschwemmt, wo die erste Häuserreihe widerstandslos in sich zusammenbrach. Die Scheiben barsten mit explosionsartigem Knall, die Säulen der Vordächer knickten ein und die gemauerten Rückwände der Gebäude wurden wie Papierkulissen weggesprengt. Überall schwammen Leute zwischen Holztrümmern, Bambusmatten, Hotelmobiliar und Gepäckstücken. Elektrische Kabel wanden sich wie Nattern, sprühten Funken und zischten in der chaotischen Brühe. Die Kraft der Wellen stieß Glasscherben wie Dolche in die fliehenden Menschen.
In der zweiten Bungalowreihe bekam ich eine Dachrinne zu fassen. Um Luft zu kriegen, zog ich mich immer wieder mit angewinkelten Armen hoch. Dennoch schluckte ich viel Dreckwasser. Der Druck der Flut war gewaltig. Wie ein reißender Strom zerrte das Wasser an meinem ganzen Leib. Langsam schwanden die Kräfte. Eines war klar: Lass ich los, ist Schluss!
Da schien der Katastrophenfilm für einen gespenstischen Augenblick stillzustehen. Kurz darauf brach das Rauschen von Neuem los. Das Wasser, das sich gerade noch in die Bungalowanlage ergossen hatte, floss nun mit gewaltigem Sog in die Gegenrichtung und riss alles, was nicht niet- und nagelfest war, mit sich aufs Meer hinaus.
Ein Japaner klammerte sich mit offenem Beinbruch auf einer schwimmenden Matratze fest. Das prekäre Floss strudelte samt blutigem Bettzeug im Strom der Gegenflut. Mit weit aufgerissenen Augen zog der Asiate vorüber und entschwand im indischen Ozean. Ob er gerettet wurde?
Durch den Rückfluss der ersten Welle entleerte sich die desaströse Ferienanlage. Landeinwärts erspähte ich eine intakte Gartenmauer und nutzte die Chance. Rechtzeitig vor der nächsten Flutwelle erreichte ich den Zufluchtsort.
Ein Helikopter erschien unvermittelt am stahlblauen Himmel und verhieß Rettung.
»Jetzt holen sie uns raus«, hoffte ich. Im selben Augenblick zeigte sich in der offenen Tür des Fliegers eine Fernsehkamera. Die Maschine überflog dröhnend den Standort und verschwand.
Ein splitternacktes Ehepaar tauchte zwischen den Ruinen auf und flüchtet wie Vertriebene aus einem untergegangenen Paradies.
»Where is the way out?«, rief ich ihnen zu. Ausweg? Meine Frage musste wie bitterer Hohn klingen. Ich erhielt keine Antwort. Trotzdem verließ ich ungebeten meine sichere Mauer und folgte dem Paar. Wir strebten in Richtung einer Trümmerlücke. Da näherte sich eine dritte Flutwelle. Erneut brach Panik aus. Ich verlor das Paar aus den Augen.
Wie ein Affe erklomm ich den perforierten Betonpfeiler eines Telefonmasts. Kaum oben, drängte ein Fremder den Mast hoch. Er zankte von unten in Englisch und begann an meinen Füßen zu zerren. Ich setzte mich strampelnd zur Wehr. Ein Vordach befand sich in Griffnähe. Sein Glas schien jedoch sehr dünn. Ich sah keine Alternative. Der Engländer bedrängte mich hartnäckig. Ich turnte auf den angepeilten Vorsprung. Die Scheibe knirschte bedrohlich. Der Engländer schien im Begriff, mir auch dorthin zu folgen. Die doppelte Last hätte die Tragkraft des Glasdaches zweifellos überfordert. Ein schmaler, betonierter Fassadenvorsprung war als nächster Zielpunkt knapp erreichbar.
Die Aktion gelang. Vorerst hielt
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