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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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erst recht nicht, was ich kochen sollte. Zum Einkaufen reichte meine Zeit nicht mehr.
    In Pauls Kühlschrank fand ich allerdings relativ frische Champignons, zwei Packungen Feinkost-Trüffeltortellini, Sahne, Parmesan und Butter. Also Tortellini mit Pilz-Sahne-Soße. Ich hatte zwar noch nie eine Pilz-Sahne-Soße gemacht, doch so schwer konnte das nicht sein.
    Die verbliebene Stunde bis zu Giannas Ankunft verging wie im Flug. Um zehn vor sechs stand ich schweißgebadet im Korridor, entscheidungsunfähig, was ich als Nächstes tun sollte - Tisch decken, Geschirr spülen oder besser mich selbst herrichten -, und raunzte Paul an, er solle sich gefälligst was Anständiges anziehen, es käme gleich Damenbesuch. Er trug noch seinen Blaumann und ein löchriges kariertes Hemd, weil er bis eben an einem neuen Rahmen herumgehämmert hatte. Paul sah zwar putzig aus im Blaumann, doch Gianna sollte er in diesem Aufzug nicht empfangen. Ich selbst ordnete notdürftig meine Haare, klatschte mir eine Portion Deo unter die Achseln und schlüpfte in eine frische Jeans. Nun hatte ich noch fünf Minuten, um zu beweisen, dass sich irgendwo tief in mir doch eine Mrs Doubtfire verbarg.
    Als Gianna klingelte - pünktlich wie die Maurer um exakt achtzehn Uhr befand ich mich im tiefsten Tal der hausfraulichen Verzweiflung. Meine Tischdekoration war ein Desaster, die Küche ein Kriegsschauplatz und die Soße roch seltsam. Die Sahne war in Ordnung gewesen, die Pilze auch, aber trotzdem verströmte die Soße einen widerlich süßen Geruch, und sollte sie auch so schmecken, wie sie roch - na, guten Appetit.
    Doch nun schrillte schon zum zweiten Mal die Klingel. Wenn ich nicht sofort öffnete, würde Gianna wieder umkehren. Ich goss die Tortellini ab, fächerte mir Luft zu und stürzte im Stechschritt zur Tür. Es gab keinen Grund, sich zu fürchten. Wer Mahre jagte, würde ja wohl nicht an einem banalen Abendessen scheitern.

Das perfekte Dinner
    »Alles in Ordnung?«, fragte Gianna, nachdem ich ihr schwer atmend geöffnet hatte. »Ist was passiert?«
    Noch nicht, dachte ich, bemühte mich aber um ein nettes Willkommenslächeln. Im gleichen Moment jagte Tillmann - bepackt mit seiner Sporttasche (was hatte er wohl diesmal auf meine Kosten eingekauft? Die Kamera jedenfalls stand noch im Zimmer) - die Treppen hoch und drückte sich an Gianna vorbei durch die offene Tür.
    »Hoppla«, sagte Gianna kühl. Ihre Augen blieben an Tillmanns blondem Haarschopf hängen. Auch Tillmann blickte sie mit unverhohlener Neugierde an. Gianna sah besser aus als während unseres Zusammentreffens in der Kunsthalle - lebendiger und blühender. Sie war kaum geschminkt, doch auch ohne Make-up zu hübsch, um sie Tillmanns rohem Straßenjungencharme auszuliefern.
    »Das ist Tillmann. Er ist nicht wichtig«, erklärte ich und drückte ihn achtlos in das Halbdunkel des Korridors. Er grinste nur und verschwand in unserem Zimmer. Wenigstens wirkte er wieder einigermaßen normal. Hatte ich mir seinen Zustand vielleicht nur eingebildet? Eine Spätfolge meines Koffeinschocks?
    »Was riecht hier so komisch?« Giannas feine Nasenflügel bebten.
    »Nix. Komm rein!«, rief ich und trat zur Seite. Gianna schälte sich aus ihrer Jacke und wickelte sich den Schal vom Hals, während sie die Bilder an der Wand musterte.
    »Aha«, bemerkte sie naserümpfend. Zu meinem Entsetzen klang dieses »Aha« weder bewundernd noch begeistert, sondern völlig vernichtend. Was war denn jetzt wieder verkehrt? Die Bilder waren meine Trumpfkarte gewesen.
    »Küche! Wir gehen am besten in die Küche.« Ich überholte sie und lief beschwingt vor, in der Hoffnung, sie würde ihre Kritikeraugen von der Wand lösen und mir folgen, was sie glücklicherweise auch tat, obwohl der seltsame Geruch in der Küche naturgemäß am penetrantesten war. Rasch stellte ich die fertigen Tortellini und die Soße in den Backofen und kippte das Fenster. Dann drehte ich mich atemlos zu Gianna um. Erwartungsvoll blickte sie mich an, die Arme in die Seiten gestützt. Was sollte ich nur sagen? Ich brauchte dringend meinen Bruder.
    »Paul!«, rief ich gebieterisch. Die Klospülung rauschte. Auch das noch. Er hielt mal wieder eine seiner Sitzungen. Wenn er jetzt durch die Wohnung brüllte, dass er am Kacken sei, wie er es gerne zu tun pflegte ... Aber nein. Paul kam schneller als erwartet zu uns und die Sonne ging auf, sowohl in meinem als auch in Giannas Gesicht.
    Er trug einen schwarzen Pullover und eine seiner dunkelblauen

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