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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Hast du dich erkältet?« Was für eine dämliche Frage. Seine Nase war nicht verstopft. Und trotzdem - gesund war er auch nicht.
    »Nein, hab ich nicht!« Tillmann hämmerte die Faust aufs Bett.
    Die Federn quietschten. »Kannst du dich nicht um deinen eigenen Kram kümmern? Und mich endlich in Frieden lassen? Geh ins Bad und schmink dich ein bisschen, du gehst mir auf den Sack!« Nun brüllte er.
    »Ja, du mir auch«, zischte ich und stob beleidigt aus dem Zimmer. Okay, unser Vorhaben war gescheitert, aber war ich nun die Schuldige, weil ich zuerst eingeschlafen war? Er hatte es doch auch nicht geschafft, wach zu bleiben. Am meisten ärgerte mich jedoch, dass er die Betten wieder auseinandergeschoben hatte. Ich konnte mich nicht entsinnen, wie oder ob ich in meines gekrochen war, nachdem ich am Fenster zusammengeklappt war, doch wir hatten beschlossen, dicht nebeneinanderzubleiben, wenn der Mahr kam. So dicht wie möglich, ohne uns zu berühren. Aber offensichtlich war es meinem Herrn und Meister zu nah gewesen.
    »Verklemmter Idiot«, schimpfte ich, stieg unter die Dusche und drehte die Temperatur auf vierzig Grad, denn meine Hände und Füße waren eiskalt. Ich jaulte auf, als das heiße Wasser die Schrammen auf meinem Rücken traf. Dann überwältigte mich die Enttäuschung über unser Versagen und meine Anspannung löste sich in heiserem Schluchzen. Noch gestern Abend hatte ich mir alles so schön ausgemalt: Wir würden den Angriff aufnehmen, den Film entwickeln, Gianna zum Essen empfangen, Paul die Beweise zeigen und ihm klarmachen, dass er hier wegmusste - und ja, vielleicht besaß Giannas Familie irgendein nettes Ferienhäuschen im Süden, in dem wir erst einmal Unterkommen konnten. Und dann würden wir im Meer baden und Paul würde sich in Gianna verlieben und François vergessen, ich konnte ihm alles in Ruhe erzählen, er würde kapieren, dass ich nicht verrückt war. Wir würden gemeinsam Papa suchen.
    Und jetzt? Jetzt gab es nur das Abendessen mit Gianna und unsere Bude war ein einziger Saustall. Ich hatte nichts, was ich Paul und
    Gianna als Beweis für die Existenz von Mahren zeigen konnte. Wenn Paul weder seinem Vater noch seiner Schwester glaubte, wie wahrscheinlich war es dann, dass Gianna einer völlig Fremden glaubte?
    Also konnte ich nur darauf bauen, dass Paul Gianna mochte und ich ihn wenigstens von François loseisen konnte. Politisch korrekt war dieser Gedanke nicht, das wusste ich. Ich führte mich auf wie ein erzkonservativer Vater, der nicht wahrhaben wollte, dass sein Sohn schwul war. Aber auch Tillmann sagte, dass er Paul nicht für schwul hielt, und François war ohnehin indiskutabel, darin waren wir uns beide einig. Also sollte ich retten, was zu retten war. Vielleicht klappte wenigstens das.
    Jedenfalls musste die Wohnung vorzeigbar sein, wenn Gianna auftauchte. Mit Tillmanns Hilfe konnte ich kaum rechnen. Ich war ohnehin nicht erpicht darauf, ihm zu begegnen, bevor er sich abgeregt hatte. Doch das Knallen der Haustür verriet mir, dass ich darauf keine Rücksicht nehmen musste. Er hatte sich aus dem Staub gemacht.
    »Heute ist nicht zufällig Olga-Tag?«, fragte ich Paul, als ich mich zu ihm in die Küche setzte. Olga war Pauls Putzfrau. Sie kam aus Weißrussland, hatte einen Hintern wie ein Brauereigaul und schaffte es, mit durchgestreckten Knien und hochgerecktem Arsch die Dielen zu bohnern. Dafür zollte ich ihr großen Respekt, obwohl sie nie lächelte und immer nur vor sich hin brummelte, dass es eine Schande sei, wie Paul lebe. »So schene Mann und kein Frau in Haus. Braucht Frau. Is schene Mann. Muss Frau her. Dann is auch nicht so mude. Nicht anderer Mann wie diese Franz. Franz schlecht. Macht mich nerves.« Mit ihrer tiefen Abneigung gegen François - sie hatte ihn einmal versehentlich beim Baden überrascht, was in einer beiderseitigen Kreischarie endete - hatte Olga sich in mein Herz gemeckert. Doch leider schüttelte Paul bedauernd den Kopf. Heute war kein Olga-Tag. Ich hatte es befürchtet. Ich musste das Chaos alleine beseitigen.
    Am späten Nachmittag hatte ich die Schnauze gestrichen voll. Mein Magen schmerzte immer noch, ich hatte am ganzen Körper Muskelkater von unserer sinnlosen Tanzerei, mir beim Fensterputzen einen Nerv in der Schulter geklemmt, circa hundertfünfzig Silberfische getötet - morgen würden sie auferstehen, ich ahnte es -, festgestellt, dass inzwischen fast dreihundert Euro aus meinem Geldvorrat fehlten, ich wusste nicht, was ich anziehen, und

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