Scherbenmond
führen. Sie wachte nicht richtig auf, versuchte sich aber mit geschlossenen Augen und lallender Zunge an einem italienischen Schlager, bevor sie grunzend aufs Bett und zurück in den Tiefschlaf fiel. Ich war so müde, dass ich nur noch aus meinen Schuhen schlüpfte, mich in Kleidern auf die Matratze sinken ließ und in dem Moment einschlummerte, als mein Gesicht das Kissen berührte.
Redseligkeiten
»Na also. Geht doch«, begrüßte ich mein Spiegelbild. Gianna schlief noch tief und fest und ich wollte die morgendliche Stille nutzen, um mich in Ruhe im Bad einzuschließen und aufzuhübschen.
Ja, ich sah besser aus. Meine Augen waren noch etwas gerötet, aber ich konnte alles schärfer erkennen als in den Wochen zuvor. Der Schlaf hatte Wunder gewirkt. Vielleicht konnte ich mit Brille Auto fahren und anschließend wie im Sommer auf meine Kontaktlinsen verzichten. Gegen meine Blässe würde ich nichts mehr ausrichten können, aber für den Rest gab es Hilfsmittel.
Ich stieg summend unter die Dusche, schäumte mich mehrfach mit Pauls riesigem Naturschwamm ein, wusch meine Haare, rasierte Beine, Achseln und diverse andere Körperstellen und begann mich langsam wieder wie ein Mensch zu fühlen. Ich wusste, dass Colin derartige Maßnahmen nicht von mir erwartete, aber ich musste deshalb ja nicht wie ein Affenweibchen herumrennen.
Ich tat es nicht für ihn. Ich tat es für mich. Mein Körper war seit Trischen nur noch eine starre Rüstung gewesen, die für die nötigsten Dinge funktionieren musste. Und es hatte Momente gegeben, in denen ich ihn am liebsten abgeschüttelt hätte. Nur einmal hatte er mir ohne Murren gehorcht und sich sogar sinnvoll angefühlt - bei unserer seltsamen Tanzerei. Wie Tillmann sich wohl in seinem Körper fühlte? Er strahlte eine widersprüchliche Mischung aus, wenn er sich bewegte. Einerseits sehr selbstbewusst, wenn nicht sogar selbstverliebt. Andererseits sackten seine Schultern manchmal leicht nach vorne, während er in sich gekehrt nachdachte, und nachts wickelte er sich in seine Decke wie ein Hundebaby, das kuscheln wollte. Er schlief - oder ruhte - fast immer auf dem Bauch, den Kopf in die Armbeuge gedrückt. Als wolle er sich schützen. Und dann diese Narben auf der Brust - nun, Narben trugen wir alle. Ich am Bein, auf Colins glattem Bauch prangte ein Hufabdruck und Gianna und Paul waren ebenfalls gezeichnet, wenn auch in ihrem Herzen. Ob Paul sich jemals von dem Befall erholen würde, falls wir ihn befreien konnten?
Ich griff nach meiner Bodylotion. Ich hatte sie so lange nicht mehr benutzt, dass der Spender verklebt war und ich ihn frei spülen musste. Ich scheute mich fast, mit meinen Händen über meine Beine und Arme zu streichen, und beeilte mich. Den Bauch ließ ich aus. Zu empfindlich.
»Oh Gott, was hab ich da nur vor ...«, stöhnte ich und ließ mich auf den Badezimmerhocker sinken. Ja, was hatte ich eigentlich vor? Ich wollte Colin wegen François um Rat fragen. Und ich wollte ... Ich spürte, wie mir das Blut ins Gesicht stieg. Wollte ich es denn wirklich? Oder glaubte ich, Colin etwas beweisen zu müssen, um ihn zu halten? Denn ich wollte ihn nicht verlieren. Auf keinen Fall.
»Abwarten«, sagte ich leise zu meinem Spiegelbild. »Sei für alles gewappnet. Und dann wirst du sehen, was passiert.« Also wappnete ich mich. Schwarze Unterwäsche war neutral, aber auch nicht zu brav. Ich schlüpfte in den Slip und zog das Hemdchen über. BHs mochte ich nicht mehr, da ich mich in ihnen beengt und eingezwängt fühlte. Ich war froh, sie los zu sein. Für sie war Zeit genug, sobald mein Fleisch der Schwerkraft erlag.
Ich musterte mich kritisch im Spiegel. Ich sah weder bieder noch verrucht aus. Prüfend klatschte ich auf meine linke Pobacke. Gut, das nannte man wohl festes Fleisch. Wackelte sie, wenn ich lief? Ich legte meinen Kopf schräg, fixierte meinen Hintern und machte zwei Schritte nach vorne. Autsch. Ein dumpfer Schmerz fuhr in meinen Nacken und ich dehnte sofort die verhärteten Muskeln, um den Krampf zu lösen. Was immer heute Abend geschehen würde - ein Hexenschuss war dabei eher kontraproduktiv. Entschlossen zog ich mich an und packte einige wenige Habseligkeiten in meinen Kulturbeutel. Meine Güte, war das albern. Ein Kulturbeutel für eine Nacht auf Trischen. Wenigstens brauchte ich keine Kondome.
Ohne jegliches Bedauern dachte ich an das heillose Gefummel -es hatte sich angehört, als wolle das Kondom sich wehren und davonrennen, wie ich - und den Geruch nach
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