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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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schreibt er von dem gefrorenen Meer in unseren Herzen. The frozen sea within.« Giannas »th« war eine Katastrophe. Se frosen sie wisin.
    »Warum sagst du das auf Englisch? Kafka ist doch ein deutscher Autor.«
    Gianna hielt inne und lächelte traurig. »Mein einer Ex und ich schreiben uns auf Englisch. Nein, haben uns geschrieben«, verbesserte sie sich. »Er ist Bosnier. Kriegsflüchtling. Hat am Ende unserer Beziehung mein Geld verkokst. Mich belogen und betrogen. Lange her. Und doch - ich mag ihn. Platonisch natürlich. Er hat dieses gefrorene Meer im Herzen. Ich weiß es genau. Und du hast es auch. Noch.«
    »Gianna ...« Ich musste mich räuspern, um weitersprechen zu können. »Wie heißt dieser Exfreund?«
    »Marco«, murmelte sie gedankenverloren. »Aber er ist verschollen, wie dein Papa. Ich glaube sogar, er ist tot.«
    Ist er nicht!, brüllte es in mir. Er ist gar nicht weit weg! Doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt für weitere Offenbarungen. Trotzdem musste ich eines noch wissen, denn Marco war mir zwar zerstört vorgekommen, nicht aber gewalttätig.
    »Marco - war das denn dieser Stalker oder der Typ mit dem ... ähm ...?«
    »Kleinen Schwanz. Nein. Keiner von beiden. Marco war vorher. Vom Regen in die Traufe sozusagen. Ich zähle ihn aber nicht mehr zu meinen miesen Exfreunden. Das Leben hat ihn genug gestraft. Es gibt also nur zwei miese Beziehungen im offiziellen Vespucci-Liebesregister. Zwei verkorkste Beziehungen - die dritte muss klappen!«
    »Wird sie«, entgegnete ich leise, aber bestimmt.
    »Ich bewundere deinen Optimismus. Hör mal, Elisa, ich bin ja nun doch ein paar Jahre älter als du und ... Colin ist dein erster Freund?«
    »Der erste, den ich liebe.«
    Sie strich entschieden über den Tisch. »Das ist es, was zählt. Also dein erster Freund. Aber angestochen bist du schon?«
    »Gianna, echt, du hast eine Ausdrucksweise am Leib ...« Ich musste grinsen. Irgendwie passte dieses derbe Mundwerk nicht zu ihrer zarten Statur.
    »Scusa. Gut. Keine Jungfrau mehr. Dann tut´s wenigstens nicht weh. Du wolltest Colin helfen, nicht wahr? Du musst eines wissen: Wir Frauen wollen das immer. Wir wollen die Männer retten. Ich wollte Marco retten, ich wollte Rolf retten ... den Psychopathen«, ergänzte sie erklärend. »Ich wollte Christoph von seinen Komplexen erretten. Aber das Ding war wirklich winzig.« Sie hob entschuldigend die Arme. »Es heißt ja, die mit den kleinen strengen sich mehr an, aber ...« Ihre Miene offenbarte, dass das auf Christoph nicht zugetroffen hatte.
    Okay. Ein zu kleiner Schwanz samt Komplexen, ein koksender
    Kriegsflüchtling, ein Psychopath, notierte ich im Geiste. Da bekam Paul ja eine hübsche Hypothek mitgeliefert. Und mir war es ein wenig zu viel der intimen Information aus Giannas Privatleben.
    »Ähm, so genau wollte ich das eigentlich nicht wissen ...«, meldete ich mich kleinlaut zu Wort, doch Gianna war in ihrem Element.
    »Die Männer wollen uns immer einreden, dass sie uns retten«, fuhr sie enthusiastisch fort. »Dass wir ohne sie nicht klarkommen. Aber das stimmt nicht. Es ist umgekehrt. Wir wollen alles wiedergutmachen, sie erlösen. Und was haben wir davon? Nix als Ärger. Damit muss ein für alle Mal Schluss sein! Du kannst einen Mann nicht retten!«
    »Und was haben wir dann mit Paul vor, wenn ich fragen darf?«
    Gianna schnappte überrascht nach Luft.
    »Oh«, sagte sie matt. »Eins zu null für dich, Elisa. Ich sehe dunkle Zeiten auf uns zukommen.«
    »Wir sind schon mittendrin. Und ich muss jetzt los. Könntest du mich zum Hafen fahren, bitte?«
    Gianna sah mich lange und prüfend an. Schließlich nickte sie.
    »Dann wollen wir mal. Göttinnendämmerung, wir kommen! Die Zeit der Helden ist vorbei.«

Klönschnack
    Als wir den Parkplatz am Hafen erreichten und ich sah, dass der Volvo noch dastand (wer würde ein so hässliches Auto auch freiwillig stehlen?), hatte ich mit einem Mal das Gefühl, etwas völlig Blödsinniges vorzuhaben. Nein, nicht nur blödsinnig. Sondern auch naiv, riskant, planlos und für meine Verhältnisse viel zu optimistisch.
    Es hätte ausgereicht, Colin nach François zu fragen, und das hätte ich auch schriftlich erledigen können. Ich hatte immerhin zwei Wochen Zeit dafür. Doch in meinem Kopf - und zunehmend auch in meinem Bauch - manifestierte sich ein zweites, viel gewichtigeres Vorhaben. Oder war es die ganze Zeit schon da gewesen? Ich wollte die Freundschaft zu Colin beenden und die Scherben unserer Träume zum

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