Scherbenmond
Gummi zurück, die Andis und meinem ungeschickten Intermezzo vorausgegangen waren. Ich bedauerte nur, dass es überhaupt geschehen war. Eigentlich konnte ich mich an fast gar nichts mehr erinnern außer an meine analytischen Gedankenketten, die sich nüchtern wie in einer Biologieklausur aneinandergereiht hatten. Okay, Elisabeth, Andi hatte eben die Hand an seinem Allerheiligsten, das schon lange, sehr lange kurz vorm Explodieren stand - jedenfalls seinem Hyperventilieren nach zu urteilen also hatte sich der Liebestropfen bereits aus seinem dunklen Versteck gekämpft und der Liebestropfen enthielt - auch Herr Schütz (Himmelherrgott, Tillmanns Vater!) hatte uns stets beinahe väterlich davor gewarnt, obwohl wir als Dreizehntklässler dafür eigentlich schon zu alt waren - Spermien. Höchst lebensfähige Spermien. Und wenn Andi nur eines dieser wuselnden Dinger auf das Kondom geschmiert hatte während seines ungeschickten Versuchs, es überzuziehen, dann reichte das aus, um ... Autsch. Tja, da war es auch schon vorbei gewesen. Ich hatte Schmerzen und Andi fiel in sich zusammen wie ein abgestochener Luftballon. Piff, paff, schwanger. Dachte ich. Fürchtete ich. Aber das Schicksal hatte ein Einsehen mit mir gehabt. Kein Baby von Andi.
Ich seufzte schwer und schüttelte halb amüsiert, halb beschämt den Kopf. Vielleicht barg das Nonnendasein ja doch seine Vorteile. Man musste sich um eine ganze Menge Dinge keine Gedanken mehr machen.
Ich ging in die Küche, stellte Kaffee auf und sah nach Gianna. Sie schlief immer noch. Ich rüttelte sie sanft an der Schulter. Ihr Körper fühlte sich tonnenschwer an.
»Gianna. Aufwachen. Frühstück! Du musst mich zum Hafen fahren.« Und mir dein Auto überlassen, falls der Volvo gestohlen worden ist, weil der kleine Scheißer den Schlüssel hat stecken lassen. Nun rüttelte ich sie etwas rabiater. »Gianna Vespucci!«
»Madonna ... « Gianna rollte herum und presste sich den Unterarm vor die Augen. »Mamma mia, Madonna ...« Dann folgten ein paar italienische Flüche, die sich nicht jugendfrei anhörten. Sie schob langsam den Arm weg und blinzelte mich hohl an.
»Ich bin s, Elisa.«
»Elisa ...? Und ...?« Sie richtete sich auf und sah sich suchend um. »Oh Gott ... was für Träume ... Was - was mache ich überhaupt hier?«
Oh nein. Sie hatte einen Filmriss. Musste ich ihr etwa alles ein zweites Mal erzählen? Hatte sie am Ende sogar vergessen, dass sie die Aufnahmen mit François gesehen hatte? Dass es Mahre gab? Und dass sie sich in Paul verguckt hatte?
»Sag bloß, du erinnerst dich nicht mehr! Bitte sag, dass das nicht wahr ist!« Noch einmal würde ich ihr meine Reaktion auf François’ Angriff nicht glaubhaft Vorspielen können.
»Ja. Nein.« Gianna legte die Finger auf die Schläfen und zuckte vor Schmerz zusammen. Sie musste einen scheußlichen Kater haben. »Ich ... aber das kann nicht sein ... Hier war doch ... eine Leinwand?«
»Ich hab sie weggeräumt vor dem Schlafengehen!«, rief ich erleichtert. »Sie steht in Pauls Werkkammer. Paul, das ist mein Bruder, mit den schönen blauen Augen und den langen Haaren und ... «
»Elisa. Leiser reden. Bitte. Ich erinnere mich an deinen Bruder. Aber da war noch etwas ...«
»Die Mahre.«
Gianna schluckte. »Nachtmahre?«
Ich nickte. »François. Colin. Tessa. Mein Vater. Halbblut, Cambion, Befall. Klingelt es?«
»Viel zu laut«, antwortete Gianna leidend. »Und sie stehlen wirklich Träume? - Nein, sag nichts. Doch, sag es.«
»Ja. Sie rauben Träume und manchmal auch schöne Erinnerungen.« Mir ist es schon passiert. Und jetzt ziehe ich in den Vergeltungskrieg. »Kannst du mich nach dem Frühstück zum Hafen fahren? Ich will zu Colin, nach Trischen.«
»Ah. Colin. Unser Edward der Mahre.«
»Solltest du ihn je zu Gesicht bekommen, wirst du diesen Vergleich ein für alle Mal begraben. Und er gehört mir, nicht uns.« Pah. Colin gehörte niemand. Nicht einmal sich selbst. Wenn überhaupt, gehörte er Tessa.
Doch Gianna lächelte nur schwach. »Schon gut. Bäh, ich stinke wie ein Skunk. Kann ich duschen? Hast du was Frisches zum Anziehen für mich?«
Ich legte ihr ein paar Sachen raus, richtete das Frühstück und wartete auf sie.
»Du machst ein Gesicht, als hättest du gleich einen Termin beim Zahnarzt«, zog Gianna mich auf, nachdem sie mit Todesverachtung zwei Tassen ungesüßten Kaffee und ein Aspirin Plus C in sich hineingeschüttet hatte.
»Hmpf«, brummte ich unwillig. So ähnlich fühlte ich mich auch,
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