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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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schob ihn zur Seite. Erstaunt hielt er inne, um mich gewähren zu lassen. Doch meine Bissspuren verblassten bereits und die Kratzer auf der Brust waren gar nicht mehr zu sehen.
    »Es tut mir leid«, sagte ich. Oh nein. Meine Stimme zitterte. »Ich wollte mich nur vergewissern, dass es wirklich passiert ist ... ich brauchte einen Beweis ...«
    Colin hob seine Hand und fuhr sanft mit den Fingerknöcheln über meine Wange.
    »Es ist ein Wunder, dass es überhaupt noch zu erkennen ist«, entgegnete er leise. »Morgen ist nichts mehr davon übrig. Wenn ich könnte, würde ich den Abdruck deiner kleinen, spitzen Zähne bis in alle Ewigkeit auf meiner Haut tragen.«
    Bis in alle Ewigkeit. Wenn wir Menschen das sagten, war es eine Floskel. Wenn Colin es sagte, war es die Wahrheit. Bis in alle Ewigkeit. Ich würde irgendwann sterben und er wäre immer noch da. Unverändert. Die nächsten hundert Jahre. Zweihundert, dreihundert. Immer wieder neue Begegnungen. Neue Frauen. Wie sollte ich ihm im Gedächtnis bleiben? Mit einem lachhaften Biss in die Schulter, der nach wenigen Stunden verschwunden war?
    Meine Tränen hatten sich bei dieser Vorstellung so gewaltvoll gelöst, dass ich aufschluchzen musste, um weiteratmen zu können. Ich wollte sie mir aus dem Gesicht wischen, doch Colin kam mir zuvor. Behutsam pflückte er sie von meinen nassen Wangen, sanfte, kitzelnde Berührungen seiner Zunge, doch sie konnten mich kaum trösten.
    »Ich verstehe das nicht«, weinte ich. »Warum freue ich mich nicht? Ich müsste an die Decke springen vor Glück.«
    »Postkoitale Traurigkeit.« Colin streifte die Feuchtigkeit von meinen Augen und leckte seinen Daumen ab. Seine Mundwinkel vertieften sich in liebevollem Spott. »Mich erstaunt, dass es jetzt erst passiert. Du hast dich gut gehalten.«
    »Postkoital? Was ...? Oh. Ich verstehe.« Ja, Latein hatte ich in Köln gelernt. Postkoital hieß wohl so viel wie »nach dem Beischlaf«. Na wunderbar. Warum redete eigentlich im Sexualkundeunterricht niemand davon? Und doch war mir dieses Phänomen nicht vollkommen unbekannt.
    »Weißt du, wie die Franzosen den Orgasmus nennen?«, fuhr Colin fort, ohne seinen glitzernden Blick von meinen Tränen abzuwenden, und ich war froh, dass er mir nicht direkt in die Augen sah. »La petite mort. Der kleine Tod. Man trauert ein wenig. Das gehört dazu.«
    »Ich dachte, wenn ...« Ich verlor den Mut, doch Colin tat, als habe ich gar nichts gesagt, und so fand ich ihn bald wieder. Entschlossen holte ich Luft. »Ich dachte, wenn ich dabei zu zweit bin ... hm. Bei meinem ersten Mal kam es nicht dazu. Also mit Andi.«
    Es erschien mir frevelhaft, seinen Namen zu nennen, doch Colin zuckte nicht einmal mit der Wimper. Ich suchte nach Worten wie ein Goldgräber. Trotzdem reichte es nur zu fahrigem Gestammel.
    »Ich kannte es nur alleine. Ohne, ähm, Mann. Aber - ich ging davon aus, dass ich danach deshalb immer ein bisschen traurig war, weil ich es mit niemandem teilen konnte. Also den ... ähm.« Ich atmete tief durch. Colin sagte immer noch nichts. »Orgasmus«, vollendete ich und wand mich förmlich dabei. »Verdammt, warum hab ich immer das Gefühl, ich bin zu jung dafür, wenn ich darüber rede?«
    »Bist du nicht. Weiter«, erwiderte Colin, als würden wir hier nur französische Verben konjugieren. Meine Tränen waren versiegt. Stattdessen war ich so verlegen, dass mein Gesicht brannte. Zum Teufel, warum eigentlich? Colin war doch dabei gewesen.
    »Und jetzt ist es trotzdem so. Ich bin traurig, obwohl wir uns am Schluss so nahe waren. Als gäbe es nur noch einen einzigen Körper, ein Wesen. Aber ich kann dieses Gefühl nicht festhalten ... es geht nicht...«
    Und nun wollte er zu allem Überfluss mit Louis ausreiten. Es war nicht nur vorüber, nein, er ließ mich auch noch zurück. Wieder einmal. Vielleicht war er nicht nur ein Frühstücksflüchter. Vielleicht war er auch ein Abendessenflüchter.
    Colin legte seine Stirn an meine. Seine Haut duftete schwach nach Louis’ schimmerndem Fell, nach Holz, Salz und Meer. Und nach mir.
    »Du bist doch Spezialistin im logischen Denken, Ellie. Abgesehen davon, dass es Unsinn wäre, bei Frauen zu bleiben, die sich insgeheim vor mir fürchten - was würden sie wohl sagen, wenn morgens die Sonne aufgeht und sich mir nichts, dir nichts meine Haar-und Augenfarbe verändert?«
    Ich räusperte mich. Er hatte recht. Das war ein handfestes Argument fürs Frühstücksflüchten.
    »Aber hier - bei dir - flüchte ich nicht. Ich gehe,

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