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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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zufrieden.
    »Du hast deine eigenen noch nicht gekostet.« Colin nahm mir die Tasse ab und stellte sie auf den Nachttisch. Ich streckte mich genüsslich, zuckte kurz zusammen, weil mir alle möglichen Körperteile wehtaten - nicht schlimm, es war ein angenehmer Schmerz -, und richtete mich auf.
    »Wie spät ist es?«
    »Kurz nach vier. Die Sonne geht bald auf. Ich bin gerade heimgekehrt.«
    Ich rückte an die Wand, damit wir beide Platz auf dem Bett fanden, stützte meinen Kopf in die Hände und versuchte unter einiger Anstrengung, System in meine Gedanken zu bringen. Es war also Zeit zu reden, uns endlich meinem Anlass zu widmen, nach Trischen zu kommen. Meinem Bruder. Meinem Bruder und seinem Befall. François.
    Doch vorher musste ich wissen, ob wir sicher waren.
    »Tessa - kann sie uns hier nicht...?«
    »Sylt ist auch eine Insel, Lassie. Und wahres Glück sieht anders aus, oder? Du bist es nur nicht mehr gewöhnt. Aber wenn du ehrlich darüber nachdenkst... «
    Richtig. Wenn ich darüber nachdachte, war es nur wenig glück-selig, in einer winzigen, von Pferden umgebenen Ferienwohnung zu sitzen und darüber zu sprechen, dass mein Bruder von seinem Lebenspartner befallen wurde. Noch weniger glückselig war das Gefühl, ständig von Colin allein gelassen zu werden, um sinnlos zu verharren. Das hier war nur ein kurzes Verschnaufen, mehr nicht, und beileibe keine Idylle. Wir waren Getriebene. Deshalb konnte ich auch sofort zum Wesentlichen kommen.
    »Wir haben es geschafft, ihn zu filmen. Den Mahr.«
    »Ihr? Wer genau ist ihr?«, fragte Colin und legte sich quer vor mich aufs Bett, die Arme unter dem Kopf verschränkt. Ich schob meine Beine auf seinen Bauch. Er war immer noch fieberwarm.
    »Tillmann und ich. Mit einer Super-8-Kamera. Eigentlich hat Tillmann ihn gefilmt - ich bin vorher eingeschlafen. Er hat gekokst, um wach zu bleiben.«
    »Ja, so habe ich ihn eingeschätzt«, sagte Colin abgeklärt.
    »Dann haben wir es uns mit Gianna angesehen ...«
    »Moment. Wer ist Gianna?« Colin hob seinen Kopf und seine Bauchmuskeln spannten sich unter meinen Waden an.
    »Pauls zukünftige Freundin und unsere ... na ja, Verbündete. Das sollte sie zumindest sein. Papa hat mir ihre ...«
    »Verbündete?«, fuhr Colin dazwischen. »Heißt das, sie weiß Bescheid?«
    Ich nickte.
    »Sag mal, Ellie, legst du gesteigerten Wert darauf, gelyncht zu werden? Wer weiß denn noch alles Bescheid? Hast du eine Rundmail an deine Klassenkameraden geschickt? Hallo, wir filmen heute Nacht Mahre? Kommt alle, das wird eine Riesengaudi?«
    »Ich habe keine Klassenkameraden mehr«, sagte ich würdevoll. Ich nahm meine Beine von seinem Bauch und suchte nach einem anderen Platz für sie, fand aber keinen bequemen. Seufzend legte ich sie zurück. »Es war nicht meine Idee, Gianna sofort einzuweihen, sondern Tillmanns. Er meinte, dass sie unsere unmittelbaren Reaktionen erleben müsse, um es zu glauben. Und er hat recht behalten. Sie glaubt uns. Wir waren völlig geschockt. Denn der Mahr ist François. François ist der Mahr!«
    Colin schaute mich fragend an. »François? Wer ist François? Ellie, ich habe zwar telepathische Fähigkeiten, aber ich ... «
    »Hab ich dir nicht von François erzählt? Pauls Freund? Geliebtem?«
    »Paul ist nicht schwul.«
    »Ja.« Ich hatte ihm also nicht davon erzählt. »Das wissen wir alle. Nur er nicht. Er hält sich für schwul. Und genau das ist ja das Verrückte an der ganzen Sache. Sein Freund, François Later, ist der Mahr. Es war eindeutig zu erkennen auf dem Film. Wir sind uns sicher! Und ich habe ihm von Anfang an misstraut, seine Stimme -ich habe seine Stimme nicht ertragen ...«
    Die Erinnerung genügte, damit ich abwehrend die Hände auf meine Ohren drückte. Und auf einmal jagte ein Satz den anderen.
    »Das ist so unlogisch - ich verstehe es nicht! François verhält sich wie ein Mensch. Er hat gebräunte, warme Haut, ganz normale blaue Augen ... Na, normal sind sie nicht, er hat Tränensäcke und sie sind immer so trüb, aber es sind Menschenaugen. Er hält sich einen Hund. Einen Windhund. Er isst. Ich habe ihn essen sehen. Immer nur vom Feinsten! Außerdem arbeitet er. Er betreibt eine Galerie. Er ...«
    »Langsam, Ellie. Du bekommst noch einen Knoten in die Zunge.«
    »Und jetzt frage ich mich, ob er ein Halbblut ist. Kann das sein? Ein bösartiges Halbblut?«
    Colin musterte mich so durchdringend, dass ich Mühe hatte, seinen Blick zu erwidern.
    »Ein Galerist in Hamburg? François Later? Blauäugig?«

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