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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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zivilisiertes Klo. Mich konnte an diesem Abend nicht mehr allzu viel schocken.
    Obwohl ich überhaupt keinen Appetit verspürte, schob Gianna zwei Tiefkühlpizzen in den Gasofen und setzte sich mir gegenüber an den wackeligen Küchentisch, auf dem ein Topf mit Katzengras verdorrte und dessen Fläche von Erde übersät war (Rufus!). Sie wischte die Krümel hastig weg.
    »Das war also Colin.« Ihre Bernsteinaugen glänzten vor Neugierde. Mir war nicht danach, von Colin zu erzählen, aber das interessierte Gianna wenig.
    »Ellie, das war so krass ...«, raunte sie halb andächtig, halb entsetzt. »Er hat dich da einfach stehen lassen, war plötzlich verschwunden und du hast ausgesehen, als würdest du dich nie wieder bewegen ... wie in Trance ... aber ich konnte mich auch nicht bewegen. Ich hab mich noch nie im Leben so gefürchtet.«
    »Das ist noch gar nichts«, sagte ich müde. »Du müsstest mal Tessa begegnen. Und der Film von François war ja auch nicht gerade lustig.«
    »Nein, aber es war ein Film. Leinwand! Das hier war live. Ich hab´s erlebt, in echt. Ich weiß trotzdem nicht, wie sein Gesicht aussieht. Wie sieht er denn aus? Ich erinnere mich nur noch an schwarze Augen.«
    »Kann ich nicht gut beschreiben«, erwiderte ich schleppend und zog meinen Rucksack auf die Knie. »Warte, ich hab ein Bild.«
    Ich hatte heute Morgen meine Zeichnung unter dem Tisch hervorgeholt, entknüllt und eingesteckt. Für Gianna sollte sie als vager Eindruck reichen und ich selbst hielt sie plötzlich für überlebenswichtig. Immer noch schwappten Colins Worte durch meinen Kopf: Begegne mir in deinen Träumen und fürchte mich, wenn du wach bist. Warum nur sollte ich ihn fürchten? Und konnte ich es denn bestimmen, von ihm zu träumen?
    In meinem Rucksack fand ich nur einen zusammengefalteten Zettel, auf dem Colin die Adresse der Turnhalle und die Telefonnummer von Arschloch Lars notiert hatte. Keine einzige persönliche Zeile, kein Gruß, nichts. Ich erwartete nicht, dass jemand wie Colin Herzchen aufs Papier malte oder sich in kitschigen Liebesschwüren versuchte. Und ich war schließlich keine dreizehn mehr. Mit rosa Herzchen konnte man mich kaum um den Finger wickeln. Aber diese Hinterlassenschaft war an Sachlichkeit nicht zu überbieten. Und wo war denn nur die Zeichnung? Ich kippte kurzerhand den Inhalt des Rucksacks auf den Boden und wühlte ihn mit beiden Händen durch.
    »Oh nein ...«, flüsterte ich bestürzt, suchte aber weiter, obwohl mir bereits klar war, dass ich nichts finden würde. Hier knisterte kein Papier. Da waren nur meine Kleider und die wenigen anderen Habseligkeiten. Die Zeichnung war weg.
    »Was ist denn, Elisa?«, fragte Gianna alarmiert, doch ich schob sie zur Seite, als sie nach meinem Arm greifen wollte.
    »Sie muss doch da sein ... sie muss irgendwo sein!« Meine Stimme klang zittrig und panisch und mir war bewusst, dass ich mich wie eine Drogensüchtige benahm, die ihren Stoff verloren hatte. Doch das änderte nichts an meinem bodenlosen Kummer. Schließlich ließ ich mich schluchzend auf das kalte, speckige Linoleum fallen.
    »Elisabeth ... hey. Du machst mir Angst. Sag doch, was los ist.«
    »Ich habe ihn gezeichnet, aber jetzt ist die Skizze verschwunden ... Ich hab doch sonst nichts von ihm, gar nichts! Es kann sein, dass er beim Kampf draufgeht, und dann?«
    Gianna lehnte sich mir gegenüber an den summenden Kühlschrank.
    »Was für ein Kampf, Elisa? Von was für einem Kampf sprichst du?«
    »Von dem Kampf gegen François.« Ich bohrte mir die Fingernägel in die Handballen, damit der Schmerz mich zur Räson brachte. »Colin wird gegen François antreten, denn der würde Paul überallhin folgen. Er ist ein Wandelgänger. Wir können ihn nicht abschütteln. Die Alternative wäre, darauf zu warten, dass Paul krank wird, stirbt oder sich umbringt. Wir können alle beim Kampf ums Leben • kommen. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass Colin getötet wird, ist am größten.«
    Minutenlang herrschte Schweigen. Nicht einmal Rufus stellte irgendeinen Blödsinn an. Er saß wie ein Denkmal im Flur und fixierte uns missbilligend mit seinem verbliebenen blassgrünen Auge. Gianna schüttelte nur ab und zu den Kopf und drückte stöhnend ihr Gesicht in die Hände, um sogleich wieder aufzuschauen und mich mit ihrem Journalistenblick zu löchern.
    Ich holte tief Luft und begann zögernd, ihr möglichst schonend zu erzählen, was ich auf Trischen und Sylt erfahren hatte - was nicht so einfach war, denn immer

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