Scherbenmond
auch gehofft, dass ich nie wieder was von dir und nie wieder etwas von Paul höre und so weiterleben kann wie bisher und ... « Sie stockte. »Dann kam deine SMS und ich hab Colin gesehen. Und ich muss dauernd an Paul denken. Ich weiß, dass es wahr ist. Natürlich werde ich euch helfen. Ich kann gar nicht anders. Ich hab ein Helfersyndrom. Ich kann dir nur nicht versprechen, dass es so klappt, wie du dir das vorstellst.«
»Danke. Danach kannst du verschwinden. Den Kampf musst du dir nicht ansehen und Paul muss sowieso einschlafen, damit François angreifen kann.«
Ich atmete langsam aus. Mann, war diese Frau anstrengend. Ich war mir nicht mehr sicher, ob ich Paul einen Gefallen damit tat, ihn mit ihr zu verkuppeln, doch eine andere Wahl hatten wir nicht. Außerdem war ich laut Colin ebenfalls anstrengend. Gianna und ich passten also gut zusammen. »Dann rufe ich jetzt Tillmann an und frage, wo François wohnt und wie wir da reinkommen.«
Zu meiner Überraschung nahm Tillmann sofort ab.
»Kannst du reden?«, flüsterte ich.
»Ja, aber es wäre gut, wenn du laut sprichst. Sonst verstehe ich dich nämlich nicht. Ich bin an Land, die beiden Schwuletten auf dem Schiff. Wir können offen sprechen.«
Ich schilderte ihm so bündig wie möglich die Sachlage und er hörte aufmerksam zu.
»François wohnt im Schanzenviertel. Ich sims dir die Adresse gleich rüber. In der Galerie gibt es einen Notschlüssel, im untersten Schreibtischfach hinter den Büroklammern in einer kleinen Dose. Der Schlüssel zur Galerie müsste bei Paul in dieser scheußlichen Schale im Flur liegen. Wann wollt ihr das denn machen?«
»Morgen«, entschied ich resolut. »Morgen Abend. Vorher hab ich noch Training. Bitte sei erreichbar, falls es Schwierigkeiten gibt oder ich Fragen habe.« »In Ordnung, das müsste klappen. Wir haben morgen wieder Landgang.«
»Und Tillmann - nicht an François und all das denken, okay? Niemals daran denken, was er ist!«
»Kein Problem.« Ich hörte an seinem Tonfall, dass er grinste. »Ich hab genug Ablenkung.«
»Gratulation. Dann bis morgen. Wenn du nichts von uns hörst, ist alles okay.«
»Dito. Tschau.« Tillmann legte auf.
Gianna hatte sich während meines Gesprächs flach auf den Küchenboden gelegt und erweckte nicht den Anschein, als wolle sie je wieder aufstehen. Selbst das Piepsen des Computers riss sie nicht aus ihrer Apathie. Da sie das Gesicht mit ihren Händen bedeckte, konnte ich nicht sagen, ob sie lachte oder weinte oder einfach nur hoffte, bald aus diesem Albtraum zu erwachen. Wahrscheinlich Letzteres.
Rufus, der sich von seinem Pfannenschreck erholt hatte, kroch ihr auf den Bauch und begann, mit seligem Schnurren auf ihren Brüsten herumzutreteln, was ihrer Lethargie ein rasches Ende bereitete.
»David Gahan«, sagte sie unheilschwanger, nachdem sie sich aufgerichtet und den Kater verscheucht hatte.
»Was?« Ich kratzte mich verwirrt an der Schläfe.
»Befallen. Mit Sicherheit befallen!«, rief Gianna. »Sieh ihn dir an! Ich schwöre, dass er befallen ist. Robbie Williams auch. Es ist in ihren Gesichtern, findest du nicht?«
»Ich weiß nicht.« Ich zuckte mit den Achseln. Ich hatte mir bisher keine Gedanken darüber gemacht, welche Prominenten nachts Besuch von Mahren bekamen. Ich hegte nur nach wie vor den Verdacht, dass Jopi Heesters ein ausnehmend fröhliches Halbblut war.
»Michael Jackson. Ein ganz übler Fall. Wahrscheinlich ein Wandelgänger.«
»Michael Jackson hatte eine beschissene Kindheit. Der brauchte keinen Wandelgänger, um unglücklich zu werden.«
Doch Gianna befand sich schon in einer Art kreativem Rauschzustand, der ihr offenbar half, all das zu verdauen, was ich ihr eben verklickert hatte. Wir verbrachten den Rest des Abends damit zu überlegen, welche Stars befallen oder ein Halbblut sein könnten. Dabei ergab sich eine illustre Gesellschaft und immerhin waren wir uns bei Kurt Cobain einig - der musste als Nahrungsquelle für einen Mahr gedient haben bis zu seinem viel zu frühen Tod. Elvis Presley vermutlich ebenfalls, wobei der laut Gianna auch ein Halbblut gewesen sein könnte. Schließlich wurden meine Müdigkeit und Sehnsucht so überwältigend, dass ich nur noch meine Augen schließen wollte.
Gianna richtete mir ein notdürftiges Lager auf ihrem kleinen blauen Sofa ein.
Als ich das Licht löschte und mich zusammenrollte, fühlte ich mich so einsam und verloren wie noch nie zuvor in meinem Leben.
Ocean’s Two
»Ist alles wieder einigermaßen
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