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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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    »Er ist weg, Gianna«, sagte ich in die plötzliche Stille hinein.
    Sie ratterte irgendein italienisches Gebet herunter, in dem sehr oft die Worte »madonna« und »padre nostro« vorkamen, um sich anschließend mehrfach zu bekreuzigen. Ich legte meine Hände auf ihre Schultern, um sie nach unten zu bewegen. Sie waren völlig verspannt.
    Doch meine Berührung löste ihre Versteinerung. Sie ließ das Steuer los und wedelte mit ihrer rechten Hand, als habe sie sich verbrannt.
    »Madonna. Was für ein Figürchen. Lange Beine, groß, schlanke
    Hüften, seine gerade Haltung ... diese Bewegungen. Ein schwarzer Panther. Heiß!« Sie pfiff anerkennend durch die Zähne und wedelte noch einmal mit der Hand. »Aber der Rest? Sein Blick? Man könnte ihn im Hamburger Dungeon anstellen. Gruselig!«
    »So schlimm ist es auch wieder nicht. Das war nur, weil er in dich hineingesehen hat.«
    »Eine Art Nacktscanner, hm?«, erwiderte Gianna trocken.
    »Was die Seele betrifft - ich fürchte, ja.« Es fiel mir schwer zu sprechen. Ich zitterte immer noch zu stark und mein Kiefer verkrampfte sich, wenn ich meine Wörter zu formen versuchte. »Gianna, kann ich zu dir nach Hause kommen und bei dir schlafen? Ich möchte heute Nacht nicht allein sein.«
    Gianna sah mich erschrocken an. Ihre Lider waren gerötet. Hatte sie geweint?
    »Oh, das ist schlecht, ich ... ich hab eine Katze. Einen Kater.«
    »Das macht nichts. Ich mag Katzen. Bitte, Gianna. Ich will nicht in Pauls Wohnung. Außerdem hab ich etwas Wichtiges mit dir zu besprechen. Ich brauche deine Hilfe.«
    Gianna musterte mich argwöhnisch. »Wobei?«
    Ich erlag meinem Zittern und hörte beinahe staunend dabei zu, wie meine Zähne klappernd aufeinanderkrachten. Erst nachdem ich ausgiebig gegähnt hatte, vermochte ich ihr zu antworten.
    Ich tat es langsam und bedacht, damit sie gar nicht erst auf die Idee kam, ich würde scherzen.
    »Du und ich, wir müssen ein Verbrechen begehen. Und das ist erst der Anfang.«

Erwachsenengelaber
    Giannas Problem war nicht die Katze - ein einäugiger, rot getigerter Kater mit miesepetrigem Gesicht und Hängebauch -, sondern das Katzenklo. Und eine stattliche Reihe weiterer wohnungstechnischer Unzulänglichkeiten. Das Katzenklo war ein offenes Modell und nötigte mich zu akrobatischen Verrenkungen, als ich das Menschenklo benutzen wollte, da in dem winzigen, schmalen Badezimmer eigentlich kein Platz für beides war. Aber irgendwo musste es stehen. Rufus schien die gleiche Verscharrmethode zu bevorzugen wie Mister X - Hauptsache, raus mit der Streu. Das Häufchen war dabei völlig nebensächlich. Es ging in erster Linie ums künstlerische Ausleben. Insofern waren Rufus und Gianna das ideale Gespann.
    Gianna ließ mich geschlagene zehn Minuten im Flur stehen, während sie durch die Wohnung hetzte und immer wieder mit einem lieblichen »Bin gleich so weit« (was ihren Stress kaum überspielen konnte) an mir vorbeischoss, meistens mit einem Klamottenbündel, Papieren, Schuhen oder einer Kehrschaufel unter dem Arm. Auch das Bad durfte ich erst benutzen, nachdem sie die Streureste notdürftig von dem abgenutzten Linoleumboden gefegt hatte.
    »Scusa«, seufzte sie schuldbewusst, als ich zu ihr in die Küche trat. »Ich war nicht auf Besuch eingerichtet. Ich hatte eine höllisch anstrengende Woche.«
    »Ich auch«, sagte ich kurz angebunden und sah mich um. Wow, was für ein Chaos. Kein schlampiges Chaos, aber die Küche sah aus, als sei jedes Einrichtungsteil und jedes Utensil mindestens fünfzig Jahre alt. In den offenen Regalen glich kein Teller, kein Becher und kein Glas dem anderen. Dafür konnte Gianna einen Gewürzhandel eröffnen, wenn sie wollte. Es mangelte an Pfannen, Töpfen und Geschirr, aber nicht an Kochzutaten - eine seltsame Kombination. Neben dem abenteuerlichen Gasherd röhrte ein vorsintflutlicher Kühlschrank vor sich hin, dessen vergilbte Ummantelung keinen vertrauenerweckenden Eindruck machte. Trotzdem fand ich diesen Raum irgendwie sehr gemütlich.
    »Ja, ich weiß, ist keine Vorzeigeküche«, gab Gianna beschämt zu. »Rufus liebt es, Gläser und Geschirr runterzuschmeißen. Er mag das Geräusch, wenn es zerbricht.«
    Ich ahnte schon, dass Rufus hauptamtlich als Sündenbock für all das diente, was Gianna an Unvollkommenheit mitbrachte. Aber immerhin hatte diese Wohnung mehrere Räume. Die vergangenen Tage hatte ich in einer Hütte verbracht, die aus einem einzigen Raum bestand, ohne Badezimmer, Dusche und

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