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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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dich.« Wider Willen musste ich grinsen und das wütende Tier in meinem Bauch legte sich grollend zum Schlafen nieder.
    »Okay. Ich kann nämlich kein Verbrechen mit jemand begehen, der sauer auf mich ist. Wir müssen uns schon verstehen, wenn wir das Gesetz missachten. War denn das Training wenigstens einigermaßen ...?«
    Mein Gesichtsausdruck brachte sie im Nu zum Verstummen. Nein, war es nicht. Lars war ein Testosteronbulle, wie er im Buche stand. Breitbeinig, muskelbepackt, ein Kinn wie ein Carport und eine niedrige Stirn, über der sich sein gegeltes, blond gefärbtes Affenhaar kräuselte. Trotz der Extraportion Deo, die er seinen Achseln gönnte, konnte ich seine Hormonüberschüsse zehn Meter gegen den Wind riechen. Doch was mich wirklich sprachlos hatte werden lassen, war seine aus tiefstem Herzen rührende Frauenverachtung, die er so offen zur Schau trug, als gälte es, einen Preis beim Machowettbewerb des neuen Jahrtausends zu gewinnen.
    Er nannte mich nur »Sturm«, sprach grundsätzlich im Befehlston mit mir und hatte mir gleich zu Beginn unmissverständlich klargemacht, dass er »Frauenausreden« nicht dulde. Im Kampf interessiere es auch nicht, ob gerade die Rote Armee anklopfe. Ich brauchte ein paar Sekunden, um zu kapieren, was er damit meinte, und nickte belämmert. Außerdem, setzte er hinzu, solle ich bloß keine Sonderbehandlung erwarten, nur weil ich mich von Blacky nageln lasse und er mir deshalb die ersten zwei Gürtelgrade geschenkt habe. Eigentlich war das das Allerschlimmste für mich gewesen, dass Lars Colin »Blacky« nannte. Blacky! Im Laufe des Trainings fiel mir aber auf, dass er niemanden bei seinem richtigen Namen rief, wenn er von seinen Trainingskollegen und bekannten Karateka erzählte.
    Nicht einmal seiner Frau gönnte er ihren Vornamen, einer grell blondierten Solarientussi mit meterlangen Fingernägeln und aufgespritzten Lippen, die Kaugummi kauend auf der Bank saß und wie ein Schießhund darauf aufpasste, dass Lars mir nicht zu nahe kam. Ihre Hauptaufgabe aber bestand darin, Lars abwechselnd Handtuch und Energydrink zu reichen, denn er schwitzte ohne Unterlass. Sie war nur »Schmitti«. »Schmitti, Handtuch!« »Schmitti, Durst!« Denn Lars hieß Schmitt und natürlich hatte es nie Zweifel daran gegeben, dass seine Frau diesen außergewöhnlich klangvollen Namen übernehmen würde.
    Besondere Freude bereitete es Lars jedoch, meine Beine beim Aufwärmen in alle erdenklichen Richtungen zu dehnen und dabei mit geschmacklosen Anspielungen um sich zu werfen. Ruhe vor seinen Stallhasenfantasien hatte ich nur im Training selbst. Wenn es an die Schrittfolgen, Schläge und Tritte ging, war Lars ausschließlich damit beschäftigt, mich anzubrüllen und mir in die Kniekehlen zu kicken, falls ihm meine Haltung nicht passte, und für alles unterhalb der Gürtellinie war kein Platz mehr. Das Einzige, was ich ihm zugutehalten konnte, war, dass er sich selbst nicht schonte und mir zum Abschluss der Stunde eine exzellente Braungurt-Kata zeigte. Damit ich wisse, was ich niemals erreichen würde, sagte er. Ihm fehlte Colins Eleganz und Dynamik, doch seine Bewegungen waren messerscharf und der schwere Leinenstoff seines Anzugs knallte wie Peitschenhiebe, wenn seine Arme durch die Luft schossen.
    Nein, mein Karatestündchen hatte es wahrlich nicht besser gemacht. Immerhin war ich nun in der richtigen Stimmung, einen Einbruch zu begehen.
    »Können wir dann?« Ich griff nach meinem schwarzen Rucksack, in den ich sicherheitshalber alle möglichen Sachen gepackt hatte, die uns eventuell hilfreich sein konnten. Taschenlampe, Handschuhe, Traubenzucker, eine Flasche Wasser, ein paar Schraubenzieher, Plastiktüten und zwei von Pauls Schutzbrillen und Gesichtsmasken, die er beim Lackieren überzog. Wir hatten zwar einen Schlüssel, aber ich wollte auf alles vorbereitet sein.
    »Nein, stopp.« Gianna legte kurz die Hand auf mein Bein, drehte sich um und verrenkte sich, um ein paar CDs von der Rückbank zu kratzen. »Ich muss mir noch Mut ansingen.«
    »Bitte kein Judas Priest!«, rief ich schnell. »Das ertrag ich heute Abend nicht.«
    »Nein. Besser. Kennst du Gossip? Beth Ditto? Die Dicke, die sich gern auf der Bühne auszieht? Nein? Was hörst du überhaupt so?«
    »Depeche Mode, Moby ...«
    Gianna winkte ab. »Passt jetzt nicht. Wir brauchen Frauenpower.« Sie wischte eine der CDs an ihrem Jackenärmel sauber, schob sie in den Schlitz und drückte auf Play. Ich fuhr zusammen, als die Musik startete.

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