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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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hatte er versucht, mich zu Matsch zu zertreten. Mich zu erwürgen. Zu ertränken. Warum ging es mir immer noch blendend? Und warum liebte ich ihn - selbst jetzt, wo seine weiße Haut von unzähligen violetten Adern durchzogen war und sich ausgemergelt über seine kantigen Wangenknochen spannte? Seine Augen lagen so tief in ihren Höhlen, dass sich kein Licht mehr in ihnen spiegeln konnte. Die Pupillen hatten die Farbe von alter Asche. Bläuliche Schaumblasen sammelten sich in seinen Mundwinkeln. Mit einem fast grunzenden Knurren entblößte er seine Zähne. Sein Zahnfleisch war schwarz.
    »Colin, was ... was ist mit dir?« Er wirkte schwer krank. Ich wusste, dass Mahre nicht krank werden konnten. Aber gesund war er nicht. Ganz und gar nicht.
    »Schick Tillmann zu ihm. Und begleite ihn«, drang seine Stimme in meinen Kopf, nicht samten und rein wie sonst, sondern maßlos entkräftet und beunruhigend böse zugleich.
    Ich drehte mich zu den anderen um. Gianna stand bei Paul. Sie war immer noch grün um die Nase und wirkte, als überlege sie, ein zweites Mal aufs Klo zu verschwinden. Und am besten nie wieder rauszukommen. Paul strich ihr abwesend über das strähnige Haar. Sein Erkennen vermischte sich mit tiefer Abscheu. Doch Zweifel fanden sich nicht mehr in seinen Augen. Es gab Mahre. Oh, und wie es sie gab.
    »Ellie«, sagte er langsam. »Geh weg von diesem ... diesem ... Komm zu mir. Sofort. Ellie!«
    Ich ignorierte ihn und winkte stattdessen Tillmann zu mir herüber. Doch Paul versuchte es weiter.
    »Ellie, er hat dich misshandelt, komm jetzt zu mir oder ich schwöre dir, ich mache ihn fertig ...«
    »Kannst du nicht, Paul«, redete Gianna flüsternd auf ihn ein. »Niemals. Du hast doch gesehen, was er mit ihr angestellt hat ... Provozier ihn nicht. Ellie!«, rief sie zitternd, aber um einen vernünftigen Lehrerinnenton bemüht. »Komm zu uns, wir hauen ab. Der ist es nicht wert. Einer Frau in den Bauch zu ... «
    Mein Blick ließ sie innehalten - meiner und Colins. Sie senkte angstvoll die Lider und zerkaute ihre Unterlippe. Schon wollte Paul wieder etwas sagen, doch ich kam ihm zuvor.
    »Haltet bitte mal die Klappe, ja?«, fuhr ich die beiden an. »Wir haben keine Zeit dafür! Wollt ihr, dass François hochkommt und uns alle abschlachtet? Nein, oder?«
    Sie schüttelten den Kopf, Gianna eilfertig und Paul mehr drohend als einverstanden. Ich widmete mich wieder Tillmann, der abwartend neben mir verharrte.
    »Jetzt bist du dran«, gab ich gedämpft weiter, was ich eben von Colin empfangen hatte. »Du sollst runter zu François. Warum eigentlich?«
    Ich wandte mich fragend Colin zu. Er hatte seine Wimpern gesenkt und lehnte reglos an der Wand neben dem Fenster.
    »Wir müssen testen. Beweis.« Das war keine Stimme mehr, nur noch ein finsteres, angriffslustiges Grollen. Wenn die anderen es hätten hören können, wären sie davongerannt.
    »Na super«, seufzte ich. Das konnte ich so nicht weitergeben. Nach all dem, was sie gesehen haben mussten, würden sie Tillmann nicht fortlassen. Ich sah ihn direkt an.
    »Kommst du mit?«
    »Klar«, erwiderte er lakonisch.
    »Nein. Neinneinneinnein!«, ratterte Gianna. »Bleibt hier! Bitte! Nicht zu dem Monster da unten! Und ich will auch nicht ohne euch bei diesem Monster hier bleiben!« Sie deutete schluchzend auf Colin, der sich rückwärts die Wand hochschob und in seltsam verkrümmter Haltung an die Decke heftete. Seine Haare schlängelten sich sirrend um sich selbst. »Guck doch!«
    »Seht«, zischte ich warnend. »Er meditiert.«
    Giannas Mund klappte auf. »Meditiert?«, wiederholte sie fassungslos. »Willst du mich verarschen? Paul, sag auch mal was!«
    Doch Paul guckte uns nur stumm an und es wunderte mich nicht. Es war ein bisschen viel Information auf einmal für ihn. Und man durfte nicht vergessen, dass er vor einer Viertelstunde beinahe über den Jordan gegangen war.
    »Woher willst du überhaupt wissen, was ihr tun sollt? Er spricht doch gar nicht«, setzte Gianna kieksend hinterher.
    »Ich höre das in meinem Kopf«, antwortete ich ruhig. »Ich höre seine Gedanken. Ich fühle, was er will.«
    »Das tut sie wirklich«, bekräftigte Tillmann ebenso ruhig.
    »Ich verstehe das nicht«, zeterte Gianna. »Du fühlst, was er will, ja? Du hattest die ganze Zeit Angst, er wollte dich umbringen ...«
    »Woher weißt du das?«, unterbrach ich sie scharf.
    »Ach Gottchen, Ellie, das hab ich gesehen! Schon als er dich zum Parkplatz am Hafen gebracht hat! Du warst so komisch.

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