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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Du hattest Angst vor ihm!«
    »Meine Gefühle waren die ganze Zeit richtig«, entgegnete ich stur, obwohl meine Worte jeder logischen Grundlage entbehrten. »Und sie sind es auch jetzt.«
    »Ellie, weißt du überhaupt, was du da redest?«, höhnte Gianna, die vor lauter emanzipatorischem Engagement ihre Panik vergaß.
    »Du hattest Angst vor ihm und es sah eben tatsächlich so aus, als wolle er dich umbringen. Mensch, Ellie, ist dir klar, was er mit dir getan hat? Nicht einmal mein Ex hat so etwas mit mir gemacht! Es war niederträchtig bis zum Gehtnichtmehr und überflüssig war es dazu. Warum tritt er dich, wenn es doch um François geht? Kannst du mir das erklären? Nein, lass mich es für dich tun: weil er so etwas gerne macht. Er ist ein - ein Dämon!«
    »Ich kann dir nicht sagen, warum er das getan hat, aber ich vertraue ihm und möchte ihm gehorchen ... «
    »Gehorchen? Verdammt, wach auf, Ellie, das ist alles komplett irre, merkst du das nicht?«, schrie Gianna.
    »Gianna hat recht.« Pauls Stimme war dunkel vor Ärger. »Er ist kein Mensch und offenbar hat er Freude daran, dich zu quälen ... «
    »Das ist doch Quatsch«, unterbrach Tillmann ihn. »Irgendeinen Sinn wird es gehabt haben.«
    »Beeilt euch. Streiten könnt ihr später«, knurrte es in meinem Kopf und diesmal bekam sogar ich ein wenig Angst. Mit einem zischenden Platschen tropften blaue Bläschen aus Colins Mundwinkel zu Boden und fraßen sich in das Holz.
    »Igitt«, murmelte Gianna.
    »Du hast François nicht gesehen. Der ist richtig igitt. Auf jetzt, Tillmann, wir müssen.«
    Wir ließen die anderen ohne ein Wort stehen. Doch mir entging Pauls Blick nicht, mit dem er mir nachschaute - so fassungslos und reumütig. Voller Selbsthass. Er tat mir weh. Weil er glaubte, er hätte zu verantworten, was eben mit mir geschehen war. Wenn er nur gewusst hätte, wie unwichtig die Erinnerung an den Schmerz sich anfühlte im Vergleich zu dem Frieden, den Colin mir am Ende geschenkt hatte, wie viel stärker sein eigener Schmerz sein musste, einem Menschen vertraut zu haben, der ihn so schändlich ausgenutzt und für seinen eigenen Wahn missbraucht hatte.
    »Was will Colin?«, fragte Tillmann geschäftig, als wir im lockeren Gleichschritt die Treppe nahmen.
    »Du sollst François locken. Austesten, ob Colin ... tja, ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich hoffe, er hat ihn unschädlich gemacht. Tot scheint er nicht zu sein.« Dass er nur noch ein Auge und einen verformten Schädel hatte, sparte ich aus. Ich musste Tillmann nicht künstlich beunruhigen. Außerdem war das Auge vielleicht schon nachgewachsen. So etwas konnte bei Mahren ja mitunter ganz flott gehen.
    »Ich nehme mal an, ich soll zusehen und Colin im Notfall herbeirufen«, schlussfolgerte ich, als wir die Dienerreihe erreicht hatten. Sie hatte ich vor mir gesehen, als Colin mir seine Gedanken mitgeteilt hatte. »Ich glaube allerdings nicht, dass ...« Ich schluckte den Rest hinunter, doch Tillmann sah mich wissend an.
    »Ist schon klar. Er ist nicht gerade fit. Er wirkt irgendwie vergiftet, oder?«
    Ich antwortete nicht. Tillmann knöpfte sein Hemd auf und streifte es von seinen Schultern. Dann verwuschelte er seine Haare.
    »Und? Wie sehe ich aus?« Es lag Ironie, aber auch Angst in seiner Stimme.
    »Umwerfend.« Ich drückte ihn an mich und strich ihm über den Hinterkopf, küsste sacht die wulstigen Narben über seinen Brustwarzen. Schon als Tillmann sein Hemd geöffnet hatte, hatte ich François’ Schatten am anderen Ende der Brücke auftauchen sehen, schief und verbeult. Colin hatte ihn übel zugerichtet. Aber er lebte und seine Bewegungen muteten noch immer habgierig und hungrig an.
    »Dann los«, hauchte ich in Tillmanns Ohr. »Viel Glück.«
    »Sagst du meinem Dad, dass ... und ... das mit dir, ich wollte dir ...« Er suchte nach den passenden Worten, doch die gab es nicht. Nicht in solchen Momenten.
    »Wir reden, wenn du zurück bist. Biete dich ihm an. Er muss glauben, dass du ihn willst. Das ist dein Kampf!«
    Ich erkannte auf einmal, warum Colin Tillmann ausgesucht hatte. Weil er seit seiner Begegnung mit Tessa dem Leben etwas abverlangte, so sehr, dass es unentwegt in seinen Augen loderte und brannte, obwohl er gar nicht genau wusste, was es war. François konnte es missverstehen. Tillmann war der ideale Crashtest-Dummy. Denn noch etwas hatte Colin erkannt: Tillmann brauchte die Chance, aktiv zu werden.
    Trotzdem konnte ich kaum hinsehen. Mir war Tillmanns Furcht nicht entgangen

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