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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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wie ich war. Doch damit hatte ich ja erst im Westerwald angefangen - mit dem Ergebnis, dass mich mein eigener Bruder am liebsten in eine psychiatrische Klinik einweisen lassen wollte und mein Herz in Stücke zerrissen war, weil ich mich in einen Cambion verliebt hatte.
    »Jaja, jeder kennt einen Schwulen und findet ihn nett, aber wenn s dann in der Familie passiert, will man es trotzdem nicht«, sagte Paul trotzig.
    »Das ist nicht der Grund, Paul, ehrlich. Ich weiß einfach ganz genau, dass ... dass du ihn nicht liebst. Du liebst François nicht. Und du bist nicht schwul... «
    »Ellie.« Pauls Ruhe war nur noch mühsam erzwungen, doch ich spürte, dass ich nicht lockerlassen konnte. Ich musste das jetzt klären, um diesen Stachel in meinem Bauch zu besänftigen, der beständig bohrte und pikste. »Ich möchte darüber nicht sprechen. Akzeptier das bitte.«
    »Nein«, entgegnete ich entschlossen. »Ich hab dich mit Lilly gesehen, Paul. Ich hab selten ein Paar erlebt, das so verliebt war. Sie war vernarrt in dich und vor allem warst du vernarrt in sie, du hast sie angebetet... «
    »Elisabeth, ich will nicht reden!«, brüllte Paul und knallte das Messer so fest auf seinen Teller, dass er zerbrach. Ich fuhr zusammen. Seine Finger zuckten und eine Sekunde lang glaubte ich, er wolle das Messer nehmen und mir in die Brust rammen. »Verdammt!«, herrschte er mich an, als habe ich das Besteck auf den Tisch gehauen und nicht er. »Diese Serie gibt es nicht mehr und jetzt ist wieder ein Teller kaputt...«
    »Es ist nur Geschirr«, versuchte ich ihn zu beruhigen. Er machte mir Angst. Fahrig schob Paul die Scherben zur Seite und wieder schienen seine Finger nach dem Messer zu gieren.
    »Das ist nicht nur Geschirr. Das ist Versace«, widersprach er grollend.
    »Und es ist grottenhässlich«, sagte ich kalt, nahm meinen Teller und warf ihn an den Küchenschrank. Schon beim Aufprall zersplitterte das feine Porzellan in unzählige Stücke. Paul sprang auf. Sein ausgestreckter Arm schoss auf mich zu.
    »Du ...«, keuchte er dumpf. Verängstigt wand ich mich aus meinem Stuhl und wich zurück. »Lass - mich - in - Frieden - ich -warne - dich ...«, stieß er hervor und erhob seine Hand. Seine andere prallte auf meine Brust und schleuderte mich grob nach hinten. Ich verlor das Gleichgewicht und versuchte, mich an der Tischkante festzuhalten. Doch Pauls Wucht war stärker. Ich stürzte und schrammte hart mit dem Rücken an der Wand entlang, bevor mein Hinterkopf auf den Fliesen aufschlug. Instinktiv zog ich meine Beine an, um meinen Körper zu schützen.
    Noch immer hatte Paul seine rechte Hand erhoben, als wolle er jeden Moment zuschlagen. Sein Mund war verzerrt und seine Augen waren so dunkel, dass sich nicht einmal der helle Morgenhimmel in ihnen spiegeln konnte. Sein langes Haar streifte mein Gesicht, als er sich über mich beugte. Wimmernd kroch ich rückwärts. Paul holte wie unter einem Zwang erneut aus, doch kurz vor meiner Wange blieb seine Hand in der Luft hängen.
    Ich wagte nicht zu atmen oder mich zu bewegen, obwohl alles in mir nach Flucht schrie.
    »Ich bin still, ich sag nichts mehr, versprochen, ich sag nichts!«, versuchte ich ihn zu beschwichtigen und spürte, wie auch mein Mund sich verzerrte - aber nicht vor Hass und Zorn wie bei Paul, sondern aus nackter Panik. »Paul, bitte ...«
    Mit einem tiefen Aufstöhnen zog er seine Hand zurück. Es schien ihn unendliche Kraft zu kosten. Dann legte er den Kopf zurück und stieß einen Schrei aus, der das Blut in meinen Adern zum Stocken brachte. Augenblicklich wurde mir übel.
    »Du ... bist ... nicht mein Bruder. Du bist nicht mein Bruder!«, flüsterte ich und presste beide Arme vors Gesicht, um ihn nicht sehen zu müssen, denn schließen konnte ich meine Augen nicht. Sie waren erstarrt.
    Ich wartete, bis der Schatten seiner schweren Gestalt meinen Körper freigab und seine Schritte verklangen. Dann rollte ich mich auf dem Boden zusammen und schluchzte hemmungslos. »Oh Gott, Papa ... warum bist du nicht hier ... ich brauche dich doch ...«, weinte ich vor mich hin, als könne mein Vater es hören und alles wiedergutmachen.
    Was nur war mit Paul geschehen? Beinahe hätte er seine eigene Schwester geschlagen. Geschlagen? Nein, nicht nur das - ich hatte Angst um mein Leben gehabt.
    Nie zuvor hatte Paul mir auch nur ein Haar gekrümmt - es sei denn, man zählte seine Versuche dazu, mich bei vollem Bewusstsein mit einem Küchenmesser und der Grillgabel zu operieren.

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