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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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drehte ich mich auf den Rücken, verschränkte die Arme unter dem Kopf und schaute auf das Gemälde, das mir gegenüber an der Wand hing. Eine einfache, aus Punkten getupfte Spirale in einem dunklen Orange, das im Halbdämmer des Flurs wie getrocknetes Blut glitzerte. Meine Augen folgten träge den Windungen der Spirale, und wenn sie in ihrem Inneren angekommen waren, begannen sie von Neuem, bis mein Geist angenehm müde und friedlich wurde.
    »Du musst aus deinem Rahmen heraus«, hörte ich mich flüstern und sah mir dabei zu, wie ich aufstand, das Bild von der Wand nahm, es umdrehte, die kleinen Scharniere öffnete, die Paul angebracht hatte, um es zu bändigen, und das Gemälde fast zärtlich unter dem schweren Passepartout herauszog.
    Dann trug ich es hinüber in mein Zimmer, legte es unter mein Kopfkissen, ließ mein Gesicht in die Federn sacken und schlief sofort ein.

Scherben bringen Glück
    »Na schön«, sagte ich zu der Zeitung, die sich vor meiner Nase ausbreitete. »Mag sein, dass Papa und ich nicht ganz sauber im Oberstübchen sind. Und mag sein, dass Bilder aufhängen deine neue Bestimmung ist und so viel Geld einbringt, dass man sich all den Luxus hier leisten kann, aber eins weiß ich: Du bist nicht schwul.«
    Obwohl François nicht bei uns übernachtet hatte, ließ mich die Frage, ob Paul und er ein Liebespaar waren, nicht mehr los. Und als ich eben einige wohlplatzierte Andeutungen fallen gelassen und Paul nicht widersprochen hatte - von gemeinsamen Urlauben war die Rede, ja, sogar von einem Erbvertrag (mit vierundzwanzig!) -, war mir klar, dass mein Verdacht seinen realen Nährboden hatte.
    »Die Marge ist hoch bei diesen Bildern«, drang es durch das dünne Zeitungspapier. »Und der Porsche gehört uns beiden.« Das also auch noch. Pauls Chirurgenhand bewegte sich gezielt zum Glas mit dem frisch gepressten Orangensaft. Ich hörte ihn hastig trinken und sofort danach aufhusten. Wieso nur verschluckte er sich so oft? Doch schon Kehlkopfkrebs?, fragte ich mich zynisch.
    »Eine hohe Marge - warum? Weil ihr den Ureinwohnern die Bilder für einen Appel und ein Ei abkauft, ihnen ein hübsches Rähmchen bastelt und sie anschließend irgendwelchen Snobs für zigtausend Euro unter die Nase reibt?«
    »Die Leute sind bereit, dafür so viel Geld hinzulegen. Ethno Art ist gefragt.«
    »Ach«, erwiderte ich spöttisch. »Und es ist auch gefragt, alkoholisierte und traumatisierte Aborigines bis aufs letzte Hemd auszuziehen ... «
    »Oh Ellie, jetzt spiel nicht den Weltverbesserer, bitte! Die Zeiten sind hart und ich muss von etwas leben. Wenn du glaubst, dass du heutzutage als Arzt ohne ständige Schuldenberge existieren kannst, bist du auf dem Holzweg.«
    »Aber das ist nicht der Grund, weshalb du aufgehört hast, oder?«, bohrte ich weiter.
    Endlich ließ Paul die Zeitung sinken. Seine Augen waren schmal geworden und das Blau in ihnen hatte eine schneidende Härte bekommen. Der Stier wurde wütend. Ich wusste, dass ich recht hatte mit meiner Vermutung. Ich hatte gestern Abend noch an Pauls Computer recherchiert und die Website von François’ Galerie gefunden. (Paul wurde mit keinem Buchstaben erwähnt, nicht einmal im Impressum.) Das billigste Bild fing bei viertausend Euro an. Auf der Website einer Menschenrechtsorganisation jedoch wurde darauf hingewiesen, dass die Gemälde den Aborigines oft zu Spottpreisen und gleich stapelweise abgekauft wurden. Die eigentliche Investition der Galeristen lag in den anfallenden Transportkosten. Doch auch die hielten sich in Grenzen. Ich konnte mir gut vorstellen, dass François die Gemälde gleich containerweise orderte und persönlich am Hafen abholte. Doch darüber wollte ich jetzt nicht streiten.
    »Außerdem bist du nicht schwul«, kehrte ich zum Kernthema zurück.
    »Ich weiß nicht, ob ich schwul bin oder nicht«, erwiderte Paul deutlich gereizt. »Er ist nun mal mein Freund und mein Partner, wir arbeiten zusammen und ... «
    »Und?«
    »Ellie, es reicht. Rück mir nicht so auf die Pelle.«
    »Das übernimmt ja offensichtlich jemand anderes«, gab ich giftig zurück.
    »Vorurteile?«, fragte Paul mit einem unüberhörbaren Triumph in der Stimme.
    »Oh Paul, ich bitte dich! Ich hab meine Jugend in Köln verbracht, in meiner Clique gab es gleich zwei Schwule und ich hab mich prächtig mit ihnen verstanden.« Eigentlich sogar besser als mit Jenny und Nicole. Vielleicht hätten Daniel und Jim es akzeptiert, wenn ich meine Maske abgesetzt und mich so gegeben hätte,

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