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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Schultern hoch, als ich an Paul und seine Schnelldiagnose denken musste. Ich war wild entschlossen, nicht an meine vermeintliche Geistesverwirrtheit zu glauben. Wenn es wahr war, was Paul dachte, wurde ich sowieso irgendwann von den Männern in Weiß abgeholt und weggesperrt. Dann konnte ich nichts dagegen tun. Also war es besser, sich nicht mit dem Gedanken verrückt zu machen, möglicherweise verrückt zu sein. Denn das fühlte sich verrückter an als alles andere. Und schon gar nicht durfte ich wie bereits auf der Hinfahrt der hirnrissigen Theorie verfallen, dass dieser Brief von Paul stammte und er seit Langem vorhatte, mich einweisen zu lassen. Vielleicht genau in diese Anstalt.
    Mit einem Mal war die Straße vor mir frei. Ich ergriff die Gelegenheit und überquerte sie, ohne nach rechts oder links zu schauen. Zwei Minuten vor acht. Gemächlich lief ich an den Bäumen vorbei und dem Eingang entgegen. Eine Minute vor acht. Nun konnte ich nichts mehr dagegen tun. Meine Füße bewegten sich wie von selbst, und sobald ich die Klinik betreten hatte, steuerte ich schnurstracks auf den Empfang zu.
    Sofort fiel mir der schlanke, fast kahlköpfige Mann in weißem Doktorkittel und mit Stethoskop um den Hals auf, der sich hinter der Dame am Telefon herumdrückte. Ja, anders konnte man es nicht bezeichnen - er drückte sich herum, obwohl er hier eigentlich nichts verloren hatte. Er lugte in ein paar Fächer und blätterte einen Stapel Briefe durch, doch seine Aufmerksamkeit lag woanders.
    Sie lag bei mir.
    »Guten Abend, wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte die Dame hinter der Glasscheibe freundlich.
    »Ich ... äh«, begann ich stotternd und hielt den Brief in die Höhe.
    »Ach, da sind Sie ja, Frau Schmidt - kommen Sie, kommen Sie!«, rief der Mann aufgeräumt und schoss um die Ecke. Ehe ich mich wehren konnte, hatte er nach meinem Ärmel gegriffen und schob mich in den Aufzug.
    »Ich bin nicht Frau Schmidt«, zischte ich und versuchte, meinen Ellenbogen aus seiner Hand zu befreien. Sofort ließ er los und hob entschuldigend die Arme.
    »Verzeihen Sie, Fräulein Sturm«, flüsterte er. »Aber Sie müssen jetzt mitkommen und bitte halten Sie den Schnabel, bis wir oben sind.« Schon gesellte sich eine Krankenschwester mit einer bauchigen Teekanne in der Hand zu uns und der Mann begann im Plauderton mit ihr Konversation zu betreiben, gut gelaunt und mit dem üblichen Blabla. Wetter, man wünscht sich den Frühling herbei, endlich mal wieder draußen sitzen, wie geht`s den Kindern? Ich versuchte, ein unverbindliches Gesicht aufzusetzen und so zu tun, als sei es völlig normal und richtig, dass ich mit dabei war. Doch in mir brodelte es. Wenn der Typ mich »oben« in eine Zwangsjacke stecken wollte, konnte er was erleben. Er kannte meinen Namen ... Es musste Paul dahinterstecken.
    »Ich bringe dich um, ich schwöre es«, knurrte ich zwischen meinen zusammengebissenen Zähnen, als die Schwester uns endlich allein ließ.
    »Bitte?«, fragte der Mann irritiert und drehte sich mit einem Lächeln zu mir um. Seine grauen Augen blitzten schalkhaft.
    »Nichts«, antwortete ich seufzend. »Nun machen Sie schon. Erzählen Sie mir, was alles mit mir nicht stimmt. Dann füllen Sie mich mit Valium ab und ich werde mich bald viel, viel besser fühlen. Oder etwa nicht?«
    Sein Lächeln verwandelte sich in ein breites Grinsen.
    »Nur eines müssen Sie mir erklären«, fuhr ich hitzig fort. »Warum spielen Sie als Arzt so einen albernen Mist mit? Putzstelle, ha ...«
    »Ich fürchte, hier liegt ein doppeltes Missverständnis vor. Wer hält
    Sie denn für verrückt, Fräulein Sturm? Oder sollte ich sagen: Fräulein Fürchtegott?«
    Ich stockte. »Mein Bruder.«
    »Ah ja. Paul, nicht wahr?«
    Ich nickte.
    »Nun, Sie machen auf mich zwar einen aufgebrachten und leider etwas unglücklichen Eindruck, doch Ihr Geist scheint in Ordnung zu sein, falls Sie darauf anspielen.«
    »Das will ich auch meinen«, entgegnete ich und lachte vor Erleichterung auf. »Dann hat Paul also nichts mit dieser albernen Putzstellensache zu tun? Aber was soll ich dann hier? Und wer sind Sie?«
    Der Arzt hatte mich in ein gemütliches Arbeitszimmer geschoben. Auf dem Schreibtisch war kein Zentimeter Platz mehr frei. Er quoll über vor Akten und gefährlich hoch gestapelten Büchern, ein wunderbar wissenschaftliches Chaos, das mich sofort ruhiger stimmte.
    »Ich möchte Ihnen gerne meine Patienten zeigen.«
    »Warum?«
    Sein verschmitztes Lächeln, das mir so sympathisch

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