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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Sekunden, bis es ihm gelang.
    »Es wird dir nicht gefallen. Das schwöre ich dir. Ich kenne dich, Ellie. Doch von mir aus, bitte, vielleicht ist es das Beste, wenn du dich persönlich von meinem Antipoden überzeugst.« Das klang anzüglich und mir schoss die Hitze ins Gesicht. »Aber erst wärmst du dich in deinem Appartement auf, während ich dein Auto hole und Louis in den Stall bringe. Anschließend fahren wir zu mir.« Er warf mir einen Schlüssel zu und ich gab ihm widerstrebend den des Porsche. »Geh diesen Pfad weiter. Nach zwei Biegungen gelangst du zu einer kleinen Siedlung mit reetgedeckten Häusern. Kurhausstraße 32.«
    »Wehe, du kommst nicht wieder, Colin«, drohte ich.
    »Stets Euer Diener, Madame.« Er verbeugte sich elegant, sprang auf Louis’ Rücken und jagte davon.
    »Du hättest mich ruhig küssen können. Dämlack«, fauchte ich. Dann steckte ich den Schlüssel in die Hosentasche, überzeugte mich mit einem Blick nach unten, dass meine Füße noch da waren (denn spüren konnte ich sie nicht mehr), und machte mich schwankend wie eine frisch betankte Schnapsdrossel auf den Weg zu meiner Luxusbude.

Sturmflut
    »Was machen wir hier?« Fragend drehte ich mich zu Colin um. Er hatte mich tatsächlich abgeholt - nach zwei unendlich langen Stunden, in denen ich nichts anderes getan hatte, als auf dem piekfeinen Ledersofa in der Ferienwohnung zu sitzen, den Glastisch anzustieren und dämlich vor mich hin zu grinsen. Das Triumphgefühl, das immer wieder in mir aufwallte, versetzte mich in eine beinahe schwebende Hochstimmung. Wir hatten es geschafft, Tessa zu überlisten - wie, wusste ich noch nicht, aber Colin hätte mich nicht zu den Dünen gelockt, wenn es Gefahr für uns oder für mich bedeutet hätte. Also war Tessa nicht hier. Wir waren der blöden alten Schlampe eine Nase voraus.
    Nun aber knickte meine Stimmung dezent ein. Wir standen in der heulenden Finsternis des Nordmeeres am Hafen von Hörnum. Weder das Meer noch der Himmel hatten sich beruhigt. Hart schlugen die Wellen gegen die Steine der Hafenmauern und immer wieder sprühte uns die Gischt ins Gesicht.
    »Jetzt fahren wir zu mir«, antwortete Colin ruhig, nahm mich bei der Hand und ging mit mir die Stufen zu den auf dem Wasser tanzenden Booten hinunter. Instinktiv trat ich einen Schritt zurück, als er das Tau eines Motorschlauchbootes zu lösen begann. Es war eines dieser Geschosse, mit denen Greenpeace versuchte, Öltanker zu kapern oder Robben zu retten, und die dazu dienten, Touristen hinaus zu den Walen zu bringen. Ich hatte sie oft im Fernsehen gesehen, aber nie in einem gesessen. Und ich war auch jetzt nicht erpicht darauf.
    »Damit? Wirklich?«, vergewisserte ich mich skeptisch. Ich zog den Reißverschluss meiner Jacke bis zum Kinn zu, doch der scharfe Wind drang durch den Stoff bis zu meiner Haut. Außerdem fror ich von innen heraus. Die Glut in meinem Herzen war soeben erloschen. Es war kein Fünkchen mehr übrig.
    »Keine Bange, das ist unsinkbar.« Behände setzte Colin auf das Boot über, das wie eine Nussschale auf und ab geworfen wurde. Und wir befanden uns noch im Hafen.
    »Jedes Schiff ist sinkbar«, entgegnete ich gereizt. Seine Augen blitzten auf, als er sich mir zuwandte und mir seine Hand entgegenstreckte.
    »Du hast die Wahl, Ellie. Uns bleibt circa eine halbe Stunde, dich in die Wohnung zurückzufahren. Oder aber du kommst mit. Länger dürfen wir nicht warten, sonst wird der Wind zu stark, um aus dem Hafen hinauszukommen.«
    Ich gab mir einen Ruck, nahm seine Hand und ließ mich auf das schwankende Boot ziehen. Kneifen wollte ich schließlich nicht. Colin schob mich auf die Sitzbank hinter dem Steuerstand und bedeutete mir, mich an den Seitengriffen festzuhalten und keine Sekunde loszulassen.
    Zehn Minuten später wusste ich, warum. Ich schrie zum fünften Mal: »Anhalten, langsamer, mach langsamer!«, obwohl mir klar war, dass ich mich aufführte wie eine hysterische, verwöhnte Schickse, die befürchtete, das Stürmchen könne ihre Frisur ruinieren. Aber ich bestand nur noch aus Angst. Alles in mir wollte weg von hier und zurück ans Land, wieder festen Boden unter den Füßen bekommen, nicht von einem Moment zum nächsten hin und her geworfen werden, ohne dabei die Chance zu haben, mich zu sammeln oder gar durchzuatmen.
    Die Wellen kamen von allen Seiten und bei jeder einzelnen glaubte ich, dass sie das Boot zum Kentern bringen würde. Es war mir ein Rätsel, dass es sich in letzter Sekunde doch über sie

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