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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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an diesem düsteren Tag mehr Angst eingejagt als alles andere, doch ich gab mir Mühe und quetschte seine Handgelenke unbarmherzig an die Eisenstreben. Nun, ich konnte es auch wie folgt formulieren: Ich saß halb nackt auf dem Schoß eines Vogelwarts in seiner Hütte - und schon konnte ich ein albernes Kichern nicht unterdrücken.
    »Du kennst dich aus mit Vögeln, oder?«, zitierte ich einen uralten Witz von Papa, den er immer gerne gebracht hatte, wenn Oma von ihren Singvögelbeobachtungen im Garten schwärmte. Bereits in der nächsten Sekunde wurde mir meine zotige Bemerkung peinlich und ich verstummte betreten.
    »Du darfst«, sagte Colin gelassen.
    »Ähm, was darf ich?« Doch ich wusste, was er meinte. Und er wusste, dass ich es wusste - weil er ebenso wusste, dass ich es mir die ganze Zeit schon wünschte. Ich wartete noch ein paar Atemzüge, um sicher zu sein, dass meine blöde Vögelbemerkung keine Wirkung mehr hatte. Dann beugte ich mich sacht vor und berührte mit der Zungenspitze seinen Mundwinkel. Colin keuchte leise auf, bevor seine kühlen Lippen meine streiften. Seine Zunge war ebenso kühl und ich lachte lautlos auf, weil ich sie noch nie zuvor gespürt hatte und sie besser schmeckte als jede Zunge, die ich jemals ...
    »Stopp. Stopp, Ellie!«
    »Entschuldigung, sorry!«, rief ich und rückte von ihm ab. Oh Gott, nein, ich war ihm zu nahe getreten, ich hatte ihn doch falsch verstanden ... Er wollte nicht geküsst werden. Oder hatte ich etwa Mundgeruch? Das konnte durchaus sein, denn ...
    »Nein, Ellie, das meine ich nicht. Ich würde dich auffressen, wenn ich dürfte. Wir müssen aufpassen. Ich habe viel gehungert und du hast mehr Kraft bekommen.«
    »Kommt mir nicht so vor«, erwiderte ich nüchtern.
    »Ich spüre es aber. Du bist kein kleines Mädchen mehr. Du ziehst Energie aus mir. Denn es wird schwieriger für mich, mich zu beherrschen. Komm, lehn dich an mich, das halte ich gerade so aus«, ermunterte er mich und bei seinen letzten Worten huschte ein spöttisches Grinsen über seine geschwungenen Lippen.
    »Ich weiß nicht, ob ich es aushalte, aber okay, von mir aus«, erwiderte ich benommen und bettete mich in seine Armbeuge. Nein, ich hielt es nicht aus. Ich rückte wieder von ihm ab, griff nach der Bettdecke, schob sie zwischen seine Haut und mich und lehnte mich an ihn. Nun war es besser. Die Decke war zumindest ein kleiner Schutzwall. Colin zog unwillkürlich an den Fesseln, als meine feuchten Haare seine nackte Schulter kitzelten, und mir wurde überdeutlich bewusst, dass ich trotz der Decke zwischen uns seine Rippen und den Bund seiner Hose spürte. Im gleichen Moment hatte ich das Gefühl, dass die Hütte ein paar Millimeter zur Seite gedrückt wurde. Der Wind schrillte über uns hinweg und das Gebälk knirschte.
    »Da hat sich was bewegt«, meldete ich alarmiert.
    »Das liegt durchaus im Bereich des Möglichen.« Colins Grinsen verstärkte sich und meine erhitzten Wangen begannen zu pulsieren.
    »Nein, das meine ich nicht«, erwiderte ich hastig. »Die Hütte -bist du sicher, dass sie dem Sturm standhält?«
    »Um die Hütte mache ich mir keine Sorgen, Ellie. Ich mache mir Sorgen um dich.«
    Ich riskierte es nicht, ihn noch einmal zu küssen. Eine Weile blieb ich still bei ihm liegen, dann löste ich den Gürtel um seine Handgelenke, knöpfte mein Hemd zu und wartete, bis er sich ein frisches übergezogen hatte. Nun setzte ich mich ans Kopfende und Colin legte sich neben mich, sodass nur seine Haarspitzen, die sich knisternd um sich selbst wanden, meinen nackten Oberschenkel streiften. Mit etwas gutem Willen konnte ich mich dabei auf ein Gespräch konzentrieren.
    »Okay. Warum sind wir hier sicher?«
    Colin seufzte kurz auf. »Ich habe herausgefunden, dass sie Wasser meidet. Offenes Wasser. Sie scheut es.«
    Wie ich, dachte ich, doch ich unterbrach ihn nicht.
    »Je kleiner die Inseln, desto schneller konnte ich sie abschütteln und auf Distanz halten, und schließlich verlor sie meine Spur. Ich glaube, sie ist nach Italien zurückgekehrt. Daraufhin habe ich die kleinste bewohnbare Insel in der Nordsee gesucht und mir ... nun, ich habe mir einen Job verschafft.«
    »Darf ich erfahren, wie du ihn bekommen hast?«, fragte ich kühl.
    »Nun ja, ich habe immerhin ein Vordiplom in Biologie und ... Es ist ansteckend, nicht gefährlich. Sie wird die Stelle bald wieder übernehmen können.«
    »Sie?«, hakte ich nach.
    »Die eigentliche Vogelwartin hier. Sie ist momentan etwas entstellt,

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