Scherbenmond
erhob, und dennoch verfluchte ich diese Eigenschaft, denn sie zog unweigerlich mit sich, dass das Boot sich ständig in der Luft befand, um dann mit einem ohrenbetäubenden Krachen ins nächste Wellental hinabzustürzen. Die Stöße waren so heftig, dass mir beinahe die feuchten Haltegriffe aus den Fingern glitten.
Colin hingegen stand (stand!) gelassen am Steuerrad und schaute sich nicht einmal zu mir um, den Blick stur auf das tosende schwarze Meer gerichtet, die Hand fest am Gashebel.
»Langsamer, bitte, Colin!«, brüllte ich verzweifelt, als der Wind sich für eine Sekunde legte. Ich wusste inzwischen, dass er das nur tat, um anschließend noch zorniger über die See zu peitschen. Endlich drehte sich Colin zu mir um. Er war genervt.
»Wenn ich langsamer fahre, haben die Wellen mich im Griff und nicht umgekehrt, verstanden? Halt dich fest und schau auf den Horizont. Und hör auf zu schreien, du bekommst dabei zu viel kalte Luft in die Lungen.«
Mein »blödes Arschloch« ging im neuerlichen Röhren des Motors unter. Auf den Horizont schauen - das war mal wieder typisch Colin. Ich sah keinen Horizont. Die Welt hatte ihren Horizont verloren. Ich sah nur Wellen, meine Augen fanden keinerlei Halt in ihnen. Eine elendige Übelkeit breitete sich in mir aus. Ich schaffte es nicht, meinen Mund geschlossen zu halten; ich schrie automatisch auf, wenn das Boot zur Seite schlingerte oder mit dem Bug aus dem Wasser schnellte und wie das Gefährt eines Himmelspiraten durch die eisige Luft schoss.
Ich wusste nicht, wie lange Colin uns über das aufgewühlte Meer quälte - jede Minute schien ewig und trotzdem hatte ich das Gefühl, stundenlang unterwegs zu sein. Einzig meine Tränen wärmten mein kaltes Gesicht, doch mein Zittern und Schlottern war nur noch eine Reaktion meines Körpers; ich selbst spürte nichts mehr davon, ich registrierte es nur, wenn ich an mir herunterschaute. Alle Empfindungen hatten sich auf meinen Magen konzentriert und dem ging es überhaupt nicht gut.
Plötzlich gab es einen Ruck und wir fuhren knirschend auf eine Sandbank auf. Colin sprang in die Wellen hinab, griff sich einen Strick und zog das tonnenschwere Boot auf den Schlick, wo er es an einem im Wind schwankenden Holzpfosten befestigte.
»Wir sind da! Willst du nicht aussteigen?«
Ich kann nicht, wollte ich sagen, doch ich hatte Angst, kotzen zu müssen, sobald ich redete. Regungslos hockte ich auf dem schmalen Bänkchen und krallte mich nach wie vor an die Griffe.
Ich bin seekrank, mir ist furchtbar schlecht, dachte ich so deutlich und intensiv, wie ich nur konnte. Ich kann jetzt nicht aufstehen. Hörte er mich denn nicht?
Colin sprang zurück ins Boot und löste meine Finger einzeln von den Griffen. Dann nahm er mich hoch, trug mich durch die schäumende Gischt an Land und über eine minimale Sanderhebung, bis vor uns im Mondlicht eine Pfahlbaukonstruktion auftauchte - eine Hütte, errichtet auf Holzstämmen und nicht viel geräumiger als ein großzügiges Saunahaus, aber mit einem rundumlaufenden Balkon und Fernrohren an jeder Front. Eine steile Leiter führte nach oben. Schon schob sich die nächste Wolke vor den Mond und es wurde zappenduster.
Colin verlagerte mich auf seine rechte Hüfte und erklomm die Stiege mit drei federnden Schritten. Als die Tür endlich ins Schloss gefallen war und das Heulen des Sturms ausgesperrt hatte, legte er mich auf dem Holzboden ab. Ich rührte mich nicht. Ich kostete es aus, festen Grund unter mir zu haben, und redete mir beharrlich ein, dass ich die Scampi, die ich in Hörnum noch schnell verdrückt hatte, nicht auf Colins Füße spucken würde, sobald ich meine Stimme benutzte. Die Scampi mussten drinbleiben.
»Du bist nicht seekrank, Ellie. Du hast nur Angst.«
»Ha«, machte ich matt und war sehr stolz, dass mein Magen diesen Laut akzeptierte, ohne sich zu drehen. Nach ein paar ruhigen Atemzügen wurde ich mutiger. »Wo zum Henker sind wir hier?«
»Irischen«, erwiderte Colin kurz angebunden und griff nach meinen Schultern, um mich sanft aufzurichten und gegen die Kante eines Bettes zu lehnen. Seines Bettes. Eine plötzliche Rührung ergriff mich - auch hier hatte Colin ein Bett, obwohl er nicht schlief. Ich musste an das Bett mit dem samtenen Überwurf in seinem Haus im Wald denken, auf dem wir beide die Nacht verbracht hatten, und biss mir auf die Zunge, um nicht wieder zu weinen.
»Trischen. Ich hab nie davon gehört und ich hab kein anderes Haus gesehen ...«, murmelte ich. »Was ist
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