Scherbenmond
fürchte ich.«
Ich schnaubte nur. Colins Gabe, andere Menschen krank werden zu lassen, war mir immer noch nicht sonderlich sympathisch.
»Also sind wir auf diesem idyllischen Eiland sicher.«
»Ich bin hier sicher. Du bist es momentan nicht.«
Ich schwieg bedrückt. Dass Colin unter Hunger litt, war mir nicht entgangen. Und ich sah auch das Verlangen in seinen Augen, wenn er mich anblickte. Er beherrschte sich, ja, aber wie lange würde er die Kraft dazu haben?
»Ich muss da raus, Ellie«, sagte er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete - einem Ton, den ich sehr gut an ihm kannte und dessen hypnotischer Macht ich oft erlegen war. Zu oft. »Ich muss jagen.«
»Nein, bitte nicht, Colin ... Lass mich hier nicht allein, nicht auf dieser winzigen Insel. Was ist, wenn es eine Sturmflut gibt und alles weggerissen wird, die Hütte, das Boot, ich ...«
»Glaub mir, die Gefahr, dass das passiert, ist geringer als die Gefahr, die von mir ausgeht«, versuchte Colin mich zu beruhigen, doch ich war schon aufgestanden und tigerte alarmiert in der kleinen Hütte auf und ab.
»Aber sie besteht, oder? Und wenn wir schon ins Meer gerissen werden, dann bitte gemeinsam, hast du das kapiert?« Ich drückte die Hand auf meinen Mund, damit Colin meine zitternden Lippen nicht sah. Die Vorstellung, er würde in die Fluten da draußen hinabtauchen - denn das waren offensichtlich seine neuen Jagdgründe -und mich dem Sturm überlassen, machte mich panisch und kopflos. »Verdammt, Colin, ich träume ständig, dass ich ertrinke, und jetzt... Bitte lass mich nicht allein.«
»Genau, deine Träume«, murmelte Colin fahrig. Auch seine Konzentration ließ nach und ich sah, wie seine Fäuste sich ballten. Der Hunger bohrte in ihm. »Ich habe eine Bedrohung in deiner Nähe gespürt. Keine menschliche Bedrohung, sondern die Gegenwart eines Mahrs. Deshalb bin ich aus der Südsee zurückgekehrt.«
Ich erstarrte. Paul ... Hatte ich mich geirrt? Der Mahr befiel ihn immer noch?
»Ich bin okay, ich träume, sehr lebhaft sogar«, beschwichtigte ich Colin hastig. »Aber Paul, mein Bruder - ich hab den Verdacht, dass er befallen wurde, irgendwann in der Vergangenheit, doch wenn du sagst, dass du einen Mahr gewittert hast, dann ist er vielleicht noch da!«
Colins Blick begann zu flackern und unter seinen Augen bildeten sich bläuliche Schatten. Es geschah so schnell, dass ich für einen Moment meine Sorge um Paul vergaß und fasziniert auf sein Gesicht starrte.
»Ich muss ins Meer, Ellie. Jetzt. Sonst verschlinge ich dich.« Seine Stimme war nur noch ein Grollen. Ich presste mich rücklings an die Wand, als er an mir vorbeiglitt, die Tür gegen den Wind stemmte, um sie zu öffnen, und in der Dunkelheit verschwand. Ich stürzte ans Fenster und blickte angstvoll hinaus.
Er lief auf die Brandung zu, als könnten ihre Kräfte ihm nichts anhaben, den Kopf erhoben, sein schmaler Rücken gestrafft, seine Bewegungen fließend und geschmeidig wie die eines Panthers. Die Wellen zerbrachen an seiner Gestalt und die Gischt umschäumte ihn, als das Meer sich ihn nahm.
Allein blieb ich zurück und wartete darauf, dass er wiederkehrte, bevor der Sturm mich in die Nacht davonriss.
SOS
»So, der Herr ist also satt«, knurrte ich grimmig, als ich Colins stolzes Haupt aus den Fluten auftauchen sah. Während ich auf ihn wartete, hatte sich meine Panik zögerlich abgeschwächt und schließlich in Unmut verwandelt. Ich hatte meinen Platz am Fenster nicht verlassen und ich hätte schwören können, dass die Sandbank sich nach und nach verkleinerte. Ja, es sah wirklich aus, als wolle das Meer sie verschlingen. Doch die Hütte stand noch, auch wenn sie sich im Sturm, der unvermindert tobte, immer wieder einige Millimeter zur Seite neigte. Und mir waren frappierende Ungereimtheiten aufgefallen in diesem ganzen mitternächtlichen Spektakel, denen ich mich nun umgehend widmen wollte.
»Ich hätte da noch ein paar Fragen«, bellte ich, sobald Colin die Tür geöffnet hatte. Die Schatten unter seinen Augen waren verschwunden, ebenso wie das unruhige Flackern in seinem Blick. Satt wirkte er dennoch nicht; darüber konnten auch seine ausgeruhte Körperhaltung und sein athletischer Gang nicht hinwegtäuschen. Gedankenverloren sah ich dabei zu, wie sich eine kleine Krabbe aus seinen Haaren fallen ließ und im Krebsgang über seine Schulter stakste. Colin nahm sie zart zwischen seine Finger, öffnete die Tür und warf sie hinaus in den Wind.
»Bitte, nur zu«, gestattete
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